Dienstag, 6. Mai 2008

Eine Ergebnis des Lebens.

Rassismus kann am besten mit Wissen ausgehebelt werden. Deswegen: Eine wunderbare Geschichte aus dem Falter (Ausgabe 18/08).
Ich hab sie abgeschrieben, da ich sie nirgends online finden konnte. Ich hoffe, daß Rechtschreibfehler verziehen werden und, daß ich keine Copyright Klage erhallte...

Falter: 18/08
Von: Thomas Drescher

„Schlachthof Nummer 21“

Wirklich leise ist es hier nie, die Donauuferautobahn keine 100 Meter entfernt. Doch am Abend des 17.Aproil muss ein grelles Blöcken das dumpfe Rauschen der Autos durchschnitten haben. Es ist ungefähr 20:45Uhr, als Herr. A und sein Bruder ein Schaff aus einem Lieferwagtem treiben und es in den zweiten Stock eines Wohnhauses in der Floridsdorferpuffergasse zerren. Ziel: die Badewanne ihrer Wohnung. Dort wird dem Tier mit einem langem, scharfem Messer die Kehle aufgeschlitzt. Auf den ersten Blick würde man A., 48, nicht zutrauen, ach nur einer Fliege etwas zuleide zu tun. Er trägt Badeschlapfen und ein weiß-graues Hemd mit Streifen, und vor dem Sofa strampelt sein kleiner Sohn. Wie ein Schulbub, der bei einem Streich erwischt wurde, grinst A. hin und wieder, wenn er erzählt. Auf Russisch – der Deutschkurs dauert noch 9 Monate – bedankt er sich höflichst für das Interesse für den Vorfall und doch sei er ihm unangenehm: „Wenn ich gewusst hätte, daß es illegal ist, hätte ich es nicht gemacht. Ich will mich doch integrieren.“ Eine Nachbarin hat das Ausladen des Schafs beobachtet und die Polizei verständigt. Sie seinen der „Nase und Geräuschen“ nachgegangen, beschreibt eine Polizeisprecherin die Fahndung nach dem Schlachter.

Als die Beamten an die Wohnungstür geklopft haben, waren A. und sein Bruder gerade dabei, das Schaf zu häuten. „Die Polizisten haben nur gelacht“, sagt er. Nun wird ihm ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz angelastet. Auch das Schaf durfte er nicht behalten: Die Tierkörperverwertung nahm es mit. An den Wänden der Wohnung hängt neben einem Kalender ein Plan von Floridsdorf, darunter ein Computer und in der Luft der süßliche Geruch von Mottenkugeln – schwer vorstellbar, daß hier vor kurzem ein ausgeblutetes Schaf lag, das Fell halb über die Ohren gezogen. Wieso hat A. das Tier in seiner Badewanne geschlachtet? Um seine kürzlich verstorbene Mutter zu Ehren, sagt er. Es sei ein Ritual seiner Heimat, ein Schaff zu opfern, wenn ein Verwandter stirbt. Damit das Fleisch nach islamischer Tradition rein ist, musste das Tier Geschächtet werden. Dieses religiöse Ritual ist im Judentum und Islam verbreitet, es verlangt die Durchtrennung der Kehle ohne Betäubung und das komplette Ausbluten des Tieres. 80Euro hätte ihn das Schaff gekostet, das er aus Horn im Waldviertel habe, wo er auch sonst oft Fleisch kaufe.

Unüberlegt ist er nicht vorgegangen: Er habe sogar im Voraus mit einem türkischem Schlachthof vereinbart, diesem Teile des geschlachteten Schafs zu überlassen. Rituelle Vorgaben führten dazu, daß das Tier in der Badewanne gelandet sei: Es sei wichtig, daß die gesamte Familie anwesend sei. Und da es einfacher war, das Schaf Floridsdorf als die gesamte Familie ins Waldviertel zu verfrachten, sei das Tier eben in der Wohnung gelandet.

Seine Familie, daß sind eine Ehefrau und 5 Kinder, von denen 2 bereits in Österreich geboren wurden. Im Jahr 200, nach Beginn des zweiten Tschetscheninenkriegs, flüchteten die aus der tschetschenischen Hauptstadt Grosny nach Ascherbaidschan, dann über Polen nach Österreich. In der Steiermark, wo sie am Anfang gelebt hätten, sei es ganz normal, Tiere zuhause zu schlachten, sagt A. verwundet.
Doch auch in Wien-Floridsdorf hält sich die Aufregung in Grenzen: „Vielleicht hatte das Tier ja in der Badewanne einen schöneren Tot als im Schlachthof?“, fragt sich eine Bewohnerin des leicht heruntergekommenen Gemeindebaus, in dem sie und Familie A. wohnen. „Es ist halt ungewöhnlich in unseren Breiten, aber es doch eine schöne Tradition, die Verstorbenen zu ehren“, sagt ein alter Mann mit schloh-weißem Haar. Die wenigen Immigranten, die hier leben, sprechen fließendes Deutsch. Die Familie A. kennen sie kaum. Lediglich eine österreichische Nachbarin klagt ihr Leid: „Ständig habe sie mit den A.s Probleme, einmal habe sie sogar angedroht die Polizei zu rufen. Doch sie konnte sich nicht dazu durchringen: „Sie sind eh nett und freundlich, aber integriert sind sie nicht. Die haben einfach einen ganz anderen Lebensrhythmus, spätabends ist es immer noch furchtbar Laut.“ von der Schlachtung des Schafs habe sie nichts mitbekommen, habe sie nichts mitbekommen, sagt sie.
Das Ritual konnte übrigens doch noch vollzogen werden: Ein paar Tage später schlachteten Herr A. und seine Familie ein anderes Schaf – diesmal im Waldviertel.

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