Anthropologie

Freitag, 11. Dezember 2009

Gedanken zu einer möglichen Verbindung von Anthropology of Space and Place und Architektur bzw. Stadt, Raumplanung

Einleitung

Schon immer beschäftigte ich mich mit der Frage nach dem Zusammenhang von Umwelt und den Menschen, die in ihr Leben. In dem Seminar nachhaltige Stadtforschung in Westafrika bekahm ich die Gelegenheit diesem Themengebiet genauere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Die Anthropologie von Räumen und Orten (anthropology of space and place) ist die gegenwärtige Bezeichnung für das Themengebiet welches diese Fragestellung bearbeitet. Bei meiner Recherche über das Thema wurde ich anfänglich von der Literatur „alleine“ gelassen. Unterschiedlichste Zugänge zu dem Thema machten es mir schwer eine zusammenhängende Vorstellung des Themenkomplexes zu bekommen. Nach längerem Suchen (das auch über die Grenzen meines Faches reichte) nach einem einheitlichen Zugang, wurde mir klar, dass es jenen nicht gibt.

Die Rückbesinnung zum eigentlichem Thema – nachhaltige Stadtentwicklung, ist mir dabei oft schwer gefallen. Nicht weil mein Interesse daran geschwunden war, ganz im Gegenteil, sondern aufgrund der großen Vielfalt der Zugänge. Durch diesen Faktor bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass ich zuerst den Komplex des Themengebietes verstehen muss, um seinen Wert für die Stadtforschung zu begreifen. Im Folgenden Text habe ich den Versuch unternommen die meine Suche nocheinmal nachzuzeichen. Leider ist es mir nicht mehr gelungen, die Zusammenhänge von nachhaltiger Stadtentwicklung und anthropology „of space und place“ aufzuzeigen.
Da ich mich jedoch auch weiterhin mit genau diesem Themengebiet beschäftigen will, schien es mir wesentlich sinnvoller eine Grundlage zu schaffen, auf der Annahmen aufgebaut werden können.


Physik und Methaphysik des Raumes


1663 beweist ein Experiment von Otto von Guerickes, dass „leerer Raum“ exsistiert. Dazu schafft er einen Unterdruck in einer aus zwei Halbschalen bestehenden Kugel, die auseinander zu bringen selbst zwei Pferdegespanne nicht schafften. Hiermit wurde, zumindest in der europäischen wissenschaftlichen Welt, der notwendige Beweiß geliefert, den die Wissenschaft brauchte, um das Universum als leeren Raum vorstellen zu können und somit den Raum überhaupt als gegeben Anzuerkennen
(Günzel, 2006 S23).
Die physikalische Diskussion über den Raum zog und zieht sich dahin. Es wurde gefragt ob es einen einzigen Raum gäbe, (der oft mit Gott gleichgesetzt wurde) oder ob wir in einer Welt leben, die aus verschiedenen Räumen besteht, die in relation miteinander stehen. Wie Raum überhaupt zu denken war, als ein großes Ganzes, oder als Verschachtelung vieler einzelner Räume, war eine Streitfrage. So entwickelte sich das Gedankenexperiment bzw. die Analogie des Schiffes auf dem Ozean: Der Ozian ist ein Raum, auf dem sich das Schiff, welches ebenfalls einen Raum ergibt, bewegt. Also konnte man die Räume in einen absoluten Raum (Ozean) und einen Relativen (Schiff) einteilen. (Günzel, 2006 S24).
Die großen Gegensätze der damaligen wissenschaftlichen Auseinandersetzung finden sich in Zwei sichtweisen wieder: Erstens, Raum als Container, in dem die Dinge, ähnlich einer Schachtel, ihren Platz und vor allem ihre Ordnung haben und auf der anderen Seite wurde Raum relativ begriffen. Aus letzterer Ansicht entstand das verständnis von Raum, der durch soziale Operationen geschaffen wird (Schroer, 2006 S44).
Die Disskusion des pysikalischen Raumes ist bis heute nicht abgeschlossen. Sie hier ausführlich und zu diskutierten würde das Ausmaß der Arbeit überschreiten. Ich erachte es jedoch als wichtig, zu verstehen, dass der Raumbegriff aus dem philosophischem, methaphysischem und letztendlich dem physikalischem Denken und Verstehen entsprungen ist. Gewisse Denkweisen wurden in die kultur- und Sozialwissenschaftlichesprache übersetzt und finden teilweise ihr Erbe, und Analogien in ihnen.
Erste Sozial- und kulturwissenschaftliche Zugänge
Denn Zusammenhang von Kulturen und ihren „natürlichen Bedingungen“ sehen Gelehrte schon sehr früh. Besonders die determination von Kulturellementen durch das Klima erfreut sich großer beliebtheit. Auch Montesquieu der „Begründer“ der Soziologie schreibt in seinem 1748 erschienenem Werk, so schreibt er: „Daher hat man in kaltem Klima mehr Energie. Die Bewegung des Herzens und die Rückbewegung der Faserenden gehen besser vonsatten, der Säftehaushalt ist besser im Gleichgewicht. Der Blutkreislauf ist angeret, und das Herz leistungsfähiger. Diese größere Kraft muss sich vielseitig auswirken, zum Beispiel in höherem Selbstvertrauen, daß heißt größerem Mut; ferner in einem größerem Überlegenheitsgefühl, das heißt in geringerem Rachegelüst [...]“ (Montesquieu zitier nach Chevron: 2001: 14)
Diese Überlegungen scheinen ein wichtiger Grund für die Fragestellung der Zusammenhänge von „Natur“ und „Kultur“ darzustellen.

Durkheims Sozialmorphologie (Morphologie sociale) die er 1897 in der Zeitschrift „L’Année Sociologique“ beschrieb setzte sich mit der Frage auseinander, in welcher interdepedenz soziale Phänomene und Frgen des Raums stehen. Hier wird die Grundlage des gesellschaftlichen Lebens als „soziales Substrat“ beschrieben, dieses Substrat umfasst die Menschen und die Materiellen Gegebenheiten, die Einfluss auf das gesellschaftliche Leben haben.
Durkheim sieht in diesem „Paradigma“ die Notwendigkeit der Schaffung einer eigenen soziologischen Disziplin: die Sozialmorphologie (Chevron, 2001 S32f). „Die Arbeiten, die diese Fragestellungen behandeln, werden gegenwörtig verschiedenen Disziplinen zugeordnet. Die territioriale Form der Staaten wird von der Geographie untersucht; die Entwicklung der ländlichen oder der städtischen Gruppen wird von der Geschichte geschildert; alle Fragen, welche die Verteilung der Bevölkerung betreffen, sind Sache der Demographie usw. Es ist, glauben wir, günstig, wenn diese Teilwissenschaften aus ihrer Isolation geholt und sie, indem man sie unter einer gemeinsamen Bezeichnung vereinigt, in Kontakt gebracht werden. Erst so werden sie zu einer gewissen Einheit gelangen“ (Durkheim, 1897 Zitiert nach ebd. S37).
Diese Ansicht entstand auch durch die Beschäftigung mit dem Werk von Friedrich Ratzel. Jener war Humangeograph und Zoologe und beschäftigte sich in seinem Werk ebenfalls mit dem Zusammenhang von „Boden“ bzw. dem geographischem Gebiet welches Ratzel zufolge, die sozialen Formen des menschlichen Lebens bestimmt.
Ratzel legt, vereinfacht gesagt, das Hauptaugenmerk auf die Geographische Determination des sozialen und kulurellen Lebens. Seine Annahmen führen ihn zu einem radikalen Determinismus, der dem menschlichen Handeln eigentlich keinen Freiraum mehr lässt.
Durkheim hingegen sieht dieser determination durch den „Boden“ nicht in diesem Außmaß. Der „Boden“ ist eher ein Element von vielen, welches die sozialen Formen einer Menschengruppe festlegt (vgl: ebd, S40f). „Raum ist nicht bedingend, sondern vielehr dasjenige, was die Strukturen >zur Sichrbarkeit bringen<“ (Dünne 2006: 298)
Durch diesen gegensatz entwickelt sich eine gewisse antiökologische Tradition innerhalb der Sozialwissenschaften, bis heute, in allen Kultur und Sozialwissenschaften andauert. Glücklicherweise gibt es auch immer wieder versuche diesen antiökologischen Ansatz durch interdisziplinäre Forschungszugänge zu überwunden (vgl: Ingold, 200 S1-7).
Bis zu diesen Punkt war es aber noch ein weiter Weg. Die unterschiedlichen Wissenschaften, darunte die Humangeographie, die Anthropologie, die Soziologie, die Psychologie aber auch die Fächer Philosophie und Geschichte, bearbeiteten das Thema weiter. Diese Weiterentwicklung wurde teilweise Marginalisiert von den vorherschenden Forschungsinteressen der einzelnen Fächer. Der sogenannte spatial turn „der in Anschluss an Foucaults Proklamation eines anbrechenden >Zeitalter des Raumes< ausgerufen wurde [...]“(Dünne 2006: 292).
Foucault beschreibt in diesem Text („Von Anderen Räumen“), sein Konzept von Heterotopien. Jene sind institutionalisierte Räume „die gleichsam Gegenorte darstellen, tatsächlich verwirktlichte Utopie, in denen die realen Orte, all die anderen realen Orte, die man in der Kultur finden kann, zugleich repräsentiert, in Frage gestellt und ins Gegenteil verkehrt werden, Es sind gleichsam Orte, die außerhalb aller Orte liegen, obwohl sie sich durchaus lokalisieren lassen“ (Foucault 1984: 320). Foucault gibt mehrere Beispiele für solge Räume. Den Friedhof, das Sanatorien oder die psychiatrische Anstalten.
Ein Weiteres Beispiel, das Foucault beschreibt sind die Jesuitenkolonien in Südamerika: „Die Jesuiten in Paraguay schufen Kolonie, in denen das Leben bis in alle Einzelheiten hinein geregelt war. Das Dorf war nach einem strengen Grundriss um einen rechteckigen Platz gebaut. Eine Seite des Rechecks nahm die Kirche ein, daran schloss sich auf der einen Seite das Kloster und auf der anderen der Friedhof an. Gegenüber der Kirche, auf der anderen Seite des Platzes, begann eine Straße, die von einer zweiten Straße im rechten Winkel gekreuzt wurde. An diesen beiden Straßen durften die Familien ihre Hütten bauen. Die ganze Anlage reproduziert das Zeichen des Krezes Chrisit. So markierte das Christentum den Raum und die Geographie der amerkianischen Welt mit seinem fundamentalen Zeichen“(Foucault 1984: 320). Mit diesem Ansatz wird das Paradigma eines sozialen Raumes gefestigt. Jenes Paradigma achtet nicht mehr so sehr darauf was Räume mit der Gesellschaft machen, sondern wie Räume von der gesellschaft Konstruiert werden. Wobei diese ja, wie oben erwähnt, eine Folge des antiökologischen Ansatzes sind, weisen sie, meiner Meinung, auf den phenomenologischem Charakter der sozialen Raumbeschreibung hin. Auf jenen möchte ich im infolge ein kurz eingehen.

Phänomenologie bzw. Raumwarnehmung

Die phänomonologie der Räumlichkeit ist meines Erachtens eine wichtige Kompontente für den heutigen anthropologischen Zugang.
Sich mit ihr zu beschäftigen bedeutet den Raum aus der Sichtweise des Individiuums zu beschreiben. Es geht also nicht darum was Raum ist, was man in ihm Lesen kann usw. sondern alleine Darum, wie er aus der Sicht eines Individuums wahrgenommen wird. Welche umstände die Raumwahrnehmung beeinflussen, wie sie generiert wird und welche Auswirkungen sie auf den Menschen hat.

Meiner Meinung hat dieses Feld einen großen Anteil an der von der Anthropologie erforschten Mensch-Umwelt-Beziehung.
Den Grundstein für diese Zugangsweise legt Kurt Lewin mit seinem 1917 erschienenem Text „Kriegslandschaften“. In jenem beschreibt er, wie sich die Landschaft wärend des Krieges und der Schlacht umwandelt: Aus Wäldern werden grenzen, zivile Häuser werden zu Bunkern und Hügel zu strategischen Punkten. Die Landschaft, die sich vor der Schlacht ins Unendliche Gezogen hat, scheint begrenzt zu werden: „Die Gegend scheind da >vorne< ein Ende zu haben, dem >Nichts< folgt“ (Lewi 2006: 129).
Das Thema der räumlichen Wahrnehmung wurde sehr unterschiedlich weiterbearbeitet. Von Philosohen wie Martin Heideger oder Humangeographen wie Yi-Fu Tuan. Um die fielfältigkeit des Themas zu illustrieren möchte ich ein Beispiel des letzteren geben. Es geht um das empfundenem Gefühl von >Crownding<. Tuan gibt ein einfaches Beispiel: Wenn zwei Menschen in einer kleinen Wohnung sitzen, sich dabei gut verstehen und durch Erzählungen gegenseitig erfreuen wird die Emfindung von >Crowdednes< wahrscheinlich nicht entstehen. Hingegen können zwei sehr unterschiedliche oder sogar verfeindete Menschen das gefühl von fehldendem Raum verspüren, selbst wenn sie in einem weitem Feld stehen. (Tuan 1977: 60).

Aktueller Zugang Anthropologischer Forschung

Die aktuellen Zugänge werden unter dem englischem Begriffspaar „Space and Place“ zusammengefasst. Um die aktuellen Forschungsthemen, die in diesen Bereich fallen, kurz aufzufächern möchte ich die Einteilung eines 2003 erschienen Sammelbandes beschreiben. Hier wird das Thema in Folgende Kategorien unterteilt

Embodied Spaces, jenes Gebiet beschäftigt sich mit der Direkten Auswirkung von Topographischen Gegebenheiten auf das Individium. Zum Beispiel fällt darunter die Veränderte Proxemix beim Betreten einer Kirche.
Gendered Spaces untersucht die räumlichen Auswirkungen auf die Geschlechterrollen. So beschreibt ein Artikel von Orvar Löfgren Auswirkungen des bürgerlichen Ideals von Geschlechtertrennung in Schweden auf die „proletarische“ Wohnsituation. Diese sah vor das quasi jeder Raum zu einem Geschlecht gehörte: Küche gehört zur Frau uws. Da es bei den unteren Schichten der Bevölkerung üblich war, dass die Küche von allen Mitgliedern, inklusiver eingemieteter Jungesselen, benutzt wurde, wurden Wohnungsprogramme von der Elite eingeführt, die eine Verkleinerung dieses Wohnraums vorsahen. Ein anderes Beispiel für räumliche Analyse in Verbindung mit Geschlechterrollen ist der klassische Artikel von Pierre Bourdieu. In jenem wird eine strukturale Analyse des typischen Kabyle Haus vorgenommen. In jenem kommt der Gegensatz der Geschlechter durch den Wohnraum zum Ausdruck und wird durch ihn Manifestiert.
Inscribed Spaces ist mit der symbolischen Einschreibung in Orte beschäftigt. Wie beinhalten Landschaften, Gegenden oder Orte Identität. In welcher weise wird Kultur in topografischen Anordnungen wiedergespiegeld und erhalten.
Contested Spaces: In diesem Kapitel geht es um Machtverhältnisse und Räume Beispielsweise untersucht Steven Gregory die Auswirkungen eines einheitlichen Gebäudekomplexes. Jener wurde anfänglich durch den weißen Mittelstand bewohnt und mit der Zeit immer mehr von afroamerikanischen Bewohnern „eingenommen. Gregory untersucht die Auswirkungen auf die Umliegenden Stadtstrukturen. Diese Analyse zeigt so die schnelle Veränderung von städtischen Orten und ihre komplexe interdepedenz mit der restlichen Stadt.
Transnational Spaces: Dieses Themengebiet bricht mit der Annahma dass Länder Entiteten dahrstellen und untersucht die Auswirkungen der zunehmenden Globalisierung. Das Foschungsgebiet ist mit Migration genauso beschäftigt, wie mit der Auswirkungen bestimmter Wirtschaftszweige wie z.B den Fischfang, der auf einer globalen Ebene stattfindet aber für ganz bestimmte Orte spürbare Auswirkungen hat.
Spatial Tactics „[...] focuses on the use of space as a strategy and/or technique of power and social control, but also as a way to obscure these relationships. The transparency of space conceals the contradicitons of its social prodution“ (Low und Lawrence-Zúniga 2003: 351). Diesen bereich kann ich persönlich nicht von Contestet Spaces trennen, da die Selben Themengebiet (Macht usw.) behandelt werden.
Diese bemühte Trennung der Themengebiete Zeigt erneut wie schwer es ist den Forschungsgegenstand „Space and Place“ in ein übergeordnetes Schema einzuordnen. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass jeder AutorIn seine/ihre eigene Methode, sein/ihre eigenes theoretisches Rüstzeug zu der Untersuchung seines Zugangs mitbringt. Was fehlt ist die ausreichende Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Wissenschaftsgeschichte, aus der ja das Forschungsfeld überhaupt erst entstanden ist. Die Nachteile, die sich besonders für die Anthropologie aus dieser Nachlässigkeit ergeben sind Manigfaltig.
Zum Beispiel wird durch die Partikulation der Untersuchungen die Repressentation des Faches in anderen Disziplinen, wie z.B Stadtforschung, Architektur aber auch Soziologie starkt erschwert. Der Diskurs bleibt, wie so oft bei der anthropologischen Forschung, innerhalb des Faches. Somit schaffen es dir Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen nicht an einem fächerübergreifendem Diskurs eilzunehmen

Auf der anderen Seite wird das Potential, welches der Forschungsgegenstand bietet, nur schwerlich ausgenutzt. Wenn sich ein Student für das Thema interessiert, wird er entweder auf ein Teilgebiet festgefahren (wie z.B der Proxemix unter dem theoretischem Schutzmantel von Edward T. Hall) oder er ist gezwungen sich mühsam und Zeitaufwendig eine „eigene Geschichte“ des Themas zu schreiben.

Andere neuere Zugänge versuchen daher gleich eine eigene „Richtung“ zu begründen. So auch der französische Anthropologe Marc Augé. Mit seiner Theorie der „non-places“ schafft er ein theoretisches Gebaude. In jenem will er einen Gegenstz zu den anthropologischen Räumen schaffen und gleichzeitig einen theoretischen Rahmen bauen um diese zu untersuchen. Augé gibt folgende Deffinition: „If a place can be defined as relational, historical and concerned with identity, then a space which canot be defined as relational, or historical, or concerned with identity will be a non-place“ (Augé 1995: 78). Non-places sind sind Orte wie Flughäfe, Banhöfe oder Einkaufszenren, aber auch die Fahrt mit dem Auto durch einen Tunnel aus Schallschutzwänden kann ein Nicht-Ort sein, da jeder Bezug zur Landschaft durch die aufgestellten Wände verhindert wird.
In welcher Weise man Augés Zugang auch immer Würdigt, eines steht meiner Meinung auser Frage. Augé reicht dem Leser die Hand, führt in ein in ein Gedankengebäude, dass es erlaubt Raum anthropologisch zu denken. Dies schaffen die meisten Artikel, auch wenn sie sehr interessante Themen behalndeln eigenlich kaum, da sie eben meist frakmentarisch bleiben und ihnen der theoretische Überbau fehlt. Weiters ist Augés Zugang ein distinktiver kultur- und Sozialanthropologischer Zugang und bindet sich daher selbst in eine Geschiche des Faches ein.

Tim Ingold ist ein ebenfalls ein Anthropologe der sich mit dem Thema befasst hat. In seinem Buch „The perception of the environment“ geht er jedoch einen anderen Weg als Augé. Ingold stellt sich vor allem die Frage, wie die Umgebung und das Individuum aufeinander wirken. Er versucht den antiökologischen Ansatz zu überwinden und schlägt daher eine Kombination aus Zugägen vor: „[...] a combination of >relatinal< thinking in anthropology, >ecological< thinking in psychology and <developmental systems< thinking in biology would yield a synthesis infinitely more powerful than any of the >biosocial<, >psycholocultural< or >biopsychocultural< alternatives currently of offer [...]“ Ingold 2000: 4). Dieser Ansatz vertritt einen klaren Interdisziplinaren umgang mit dem Thema und ignoriert Augés zugang vollkommen.

Diese beiden Autoren stellen für mich die extremen Gegensätze von >soziokulturellen< Zugängen und >ökologischen< Zugängen zu dem Thema Raum und Mensch da.
Ein weiteres Forschungsfeld bildet der Mediale Raum bzw der virtuelle Raum. Kommunikation wird durch sogenannte virtuelle Räume immer unabhängiger von Zeit und Raum. „Mehr noch, der Körper selbst verliert seinen Status als Instanz einer subjektiven Entität und wird zum Feld artifizieller Manipulation: Mittels technischer Prozesse ereugte elekrtische Signale lösen Wahrnehmungen aus“ (Doetsch 2006: 195).
Durch diese Feststellung sind die Auswirkungen dieser Entwicklung besonders Interessant für die Raumforschung. Die Möglichkeit Distanzen zu überwinden hat große Auswirkungen auf soziale Prozesse. Zum Beispiel kann eine migrierte Ethnie die Verbindung zu ihrem „Ursprungsort“ aufrechterhalten und ist somit von dem dortigen Geschehen auch ohne körperlicher Anwesenheit emotional und sozial beeinflusst. In welcher weiße sich diese entwicklung auf Städte und ihr Leben auswirkt ist noch fraglich. Ein Beispiel währe, dass es bald nicht mehr notwendig ist sein Haus zu verlassen, um Einkaufen zu gehen, da das Kaufen im Internet erledigt werden kann. Aber auch die zunehmende Möglichkeit soziale Kontakte über viertuelle Räume zu befriedigen wirkt sich auf die verteilung des „sozialen Subtrats“ innerhalb eines Gebietes aus.

Die Beforschung des virtuellen Raumes wird zur Zeit von allen möglichen Wissenschaften betrieben. Aber auch hier scheint sich ein antiökologischer Ansatz weiterhin durchgesetzt zu haben. Dies führt mich zu der Kritik, dass so gut wie nie, auf die materiellen Voraussetzungen der virtuellen Räume eingegangen wird. Vielmehr werden sie vorausgesetzt als wären sie vom Himmel gefallen.

Conclusio
Die Frage nach dem Beitrag der kultur- und Sozialanthropologie zum Verständis von Stadt besteht sicher darin die Interdepedent von Menschen und ihrer Umgebung zu beschreiben und somit auch besser zu verstehen.
Ich glaube, die anthropologische Forschung kann viel zur erforschung von Städten beitragen. Beitragen bedeutet in meinen Augen aber auch, dass bestimmte Erkenntnise auch eine reale Umsetzung erfahren. Das Problem, dass ich hierbei sehe, ist der Forschungszugang der Anthropologie. Die unterschiedlichen Untersuchungen, die den Lebensraum Stadt zum Thema hatten beschränkten sich meist auf Beschreibungen der Gegebenheiten. Die Fragestellungen sind meist in ein anthropologisches Theoriengebäude eingebunden, dass sie für „aussenstehende Aktöre“ nicht umbedingt als Wertvoll erscheinen lassen. Als aussenstehende Akteure betrachte ich vor allem Menschen, die in die Stadtentwicklung aktiv eingebunden sind, also auch eine konkrete Entscheidungsgraft haben. Wer sind diese Menschen und in welchen Diskursfeldern bewegen sie sich? Es sind Architekten, Stadtplaner, Ökologen, Ingeneure und Politiker. Die meisten Aufgaben die diese Menschen zu bewältigen haben, sind existierende Probleme, die es zu lösen gilt. Die Anthropologie verabsäumt aber, meiner Meinung nach, die auseinandersetzung mit den Sorgen der aktiven Akteure und konzentriert sich auf ihre „traditionellen Themengebiete“ und vor allem auf ihren traditionellen Zugang. Man mag argumentieren, dass die anthropologische Forschung Grundlagenforschung ist und somit eher einen indirekten Einfluss ausübt. Meiner Ansicht nach bleiben jedoch Untersuchungen unseres Faches im internen Diskurs stecken und finden nur sehr selten den Weg nach außen.
Diese Tatsache macht es mir auch schwer, die Verbindung zwischen Stadt und der „Anthropology of Space and Place“ zu beschreiben. Dies liegt sicher auch daran, dass sich die Anthropology schon schwer tat sich von einem abgeschlossenem ländlichem Raum, in der eine heterogene Bevölkerung lebt, zu lösen. Das Eingeständniss der allgegenwärtigen interdependenzen von unterschiedlichen Gesellschaften wurde als Paradigmenwechsel gesehen.

Die Beforschung der Stadt stellte den spzifisch anthropologischen Zugang vor neue Probleme. Die vermehrte aufnahme von soziologischen Konzepen wurde zu einer Notwendigkeit um Stadt überhaupt zu verstehen. Dinge wie ökologische Überlegungen, Konzepte von Stadtplanung und Architektur wurde und werden meist bei der Betrachtung von urbanem Raum ausgespart. Natürlich gibt es außnahmen wie z.B Tim Ingold, der einen möglichst holistischen Zugang schaffen möchte.

Unter diesen Vorausetzungen kann ich abschliesend sagen, dass eine intensivere Auseinandersetzung mit Diskursen der Fächer notwendig wird, die konkreten Einfluss auf die Stadtentwicklung haben. Dies nicht unbedingt um ihre theoretischen Werkzeuge zu kopieren (Ich erachte den anthropologischen Zugang als Wervoll), sondern vielmehr um auf ihre Fragestellungen eingehen zu können und vor allem um ihre Sprache zu können. Denn ohne gegenseitigem Verständnis ist die Umsetzung anthropologischer Erkentnisse, meiner Ansicht nach, nicht möglich.

Literatur.
Augé, Marc. 1995
non-places introduction to an anthropology of supermodernity. London
Chevron, Marie-France. 2001
Menschen und Umwelt in der französischen Ethnologie. Auswirkungen des geopgraphischen-morphologischen Paradigmas. Wien
Doetsch, Hermann. 2006
Einleitung in körperliche, technische und mediale Räume..
In: Günzel, Stefan/Dünne, Jörg. (Hg.) 2006 Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main
Foucault, Michel. 1976
Von anderen Räumen.
In: Günzel, Stefan/Dünne, Jörg. (Hg.) 2006 Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main
Günzel, Stefan/Dünne, Jörg. 2006
Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main
Lewin, Kurt. 1917
Kriegslandschaften.
In: Günzel, Stefan/Dünne, Jörg. (Hg.) 2006 Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main
Low, Setha / Lawrence-Zúniga, Denise 2003
The Anthropology of space and Place. Oxford
Schroer, Markus. 2006
Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raumes. Frankfurt am Main
Tuan, Yi-Fu. 1977
Space and Place. Minnesota

Textbesprechung – Anna Tsing - The Global Situation

Der Text von Anna Tsing erfüllte mir ein schon lange gehägtes Bedürfnis. Endlich las ich eine kritische Überschau von unterschiedlichen Zugängen über die aufgekommenen Vorstellung der Globalisierung, wie wir sie in den kultur-und Sozialwissenschaften kennen. Leider beschränkt mich, die mir entschlüpfende Zeit, um eine Beschreibung abzugeben, die Tsings bemühungen rechtmäßig würdigen würde. Stattdesen versuche ich kurz inne zu halten und dabei doch die Punkte hervorzuheben.
Ich entschuldige mich an dieser Stelle im Voraus für die folgende Flapsigkeit.

Der Artikel von Tsing beginnt mit einer fahrt in einer Achterbahn, bestehend aus Analogien: Landschaften, Flüsse, Kristallkugeln usw. jedoch gewöhnte ich mich schnell daran und machte mir Sinn aus den beschrieben Bilder. (z.B ein Telefonhörer auf einem Globus).
Tsing vergleicht das aufkommen der Globalisierungstheorien mit dem Aufkommen der Idee der Moderne, die nach dem 2 Weltkrieg die Wissenschaft bestimmt hat. Sie schreibt: „Only when the shine of modernization began to fade did scholars ask how it managed to capture the hopes and dreams of so many experts, how ist formular were communicated to such a variety of social groups [...]„ Und dieser Frage geht sie in ihrem Artikel auch nach, ohne rücksicht, aber mit berücksichtigung auf die Geschichte der Anthropologie. Sie legt wunden offen (z.B die Dichotomy zwischen globalen Kräften und lokalen Kulturen), bleibt dabei aber organisiert. Ihre Argumente werden sauber eingeteilt, ohne dabei wie eine Anleitung für „wie mach ich es besser“ zu wirken.
Spielräume für eigene Ideen bleiben offen, und das Ertappt-Werden, dass mensch sich zu totalitären Ideen hingezogen fühlt (in meinem Fall marxistische Analyse), fiehl mir mit ihrem Text leichter, als gewohnt.
Tsing beschreibt auch den Zusammenhang der Öko bzw. umwelt Bewegung und der Idee, der Globalisierung. Schön dass ein Autor die möglichkeit gibt, die Absurdität, festzustellen, dass eine Gesellschaft ihren Lebensraum als Objekt, als Globus, wahrnimmt.
Ein weiteres analytischer Fauxpas, der mich persönlich immer wieder ärgert, wird in dem Text ebenfalls erwähnt: „We focus on the money – the ur object of flow – instead of the social conditions that allow or encourage that flow.“ - Was soll ich dazu sagen, außer danke?
Gegen Ende werden die bekanntersten anthropologischen Theorien über Globalisierung auf die Probe gestellt. Vorallem werden Appadurai und Hannerz besprochen. Tsing zeigt auf, in welcher Bezihung die Biographien der Autoren mit ihren Ideen stehen. Damit zeigt sie auch die Einseitigkeit der einzelnen Theorien, nimmt ihnen jedoch nicht ihre Berechtigung. Stattdessen geht sie gegen Ende darauf ein, auf welche Themenfelder sich die Anthropologie konzentrieren sollte, wenn sie bei der epistemologie der weltweiten Relationen einen beitrag leisten will.
Weiters hat mir gut gefallen, dass sie viele Einzelbeispiele beschreibt und auf sie eingeht. Hätte ich die Zeit, und das Wissen, würde ich – so sagt mir mein Gefühl – ihre Sichtweise eines hegemonialen Kapitalismus Kritisieren. Ich finde ihr Beispiel von Dauvergne unzureichend. Aber wie ist es nun mal im Leben, wir wollen, aber wir können nicht alles haben.

Textbesprechung – Arjun Appadurai Disjuncture and Difference in the Global Cultural Economy

Appadurai argumentiert in seinem Text für eine neue Analyseform der globalen Interdependenzen. Er will einem Erklärungsansatz der Wirkung und Effekt mechanisch miteinander Verbindet überwinden. Als Beispiele für derlei starre Theorien nennt er Wolf oder Wallerstein, aber auch Vertreter einer globalen Amerikanisierung.

Im Gegensatz dazu geht es dem Autor um eine neue Betrachtungsweise, die ein Modell anstrebt, das die Chaostheorie zum Vorbild hat. Ohne einem solchen Modell würde es schwierig werden, etwas zu Konstruieren, das John Hinkson 1990 als „social theory of postmodernity“ beschrieb.
Um sich diesem Ziel zu nähern, führt Appadurai ein Arsenal eigens definierten Begriffen ein. Die fünf wichtigsten sind: Ethnoscpaes, mediascapes, technoscapes, financescapes und ideoscapes.
Das verbindente Element dieser Begriffe ist das Suffix >scape<. Jenes bezieht sich auf das Wort „landscape“. Die Analogie der Landschaft soll analytische Starrheit verhindern, da Landschaften nicht abgeschlossen sind und Übergänge und unterschiede fliesen Ineinander verlaufen. Die Landschaft wird von Gruppen, und in letzter Instanz von einzelnen Akteuren, unterschiedlich wahrgenommen. Gruppen- und individuelle Erfahrungen bestimmen wie sie erfahren wird. Auch soll die Verbindung zu Landschaften die Dichotomie zwischen der globalen Homogenisierung und der globaler Heterogenität überwinden, indem die Möglichkeit unterschiedlicher Wahrnehmung in den gleichen Landschaften gegeben ist. Diese scpaes bewegen sich getrennt voneinander, trotz möglicher Überlappungen.

In dem Text lassen sich zwei Hauptgründe für diese neuen Modi des globalen Geschehens identifizieren. Die gleichzeitig die Gründe darstellen, warum wir uns in einer neuen Phase des Globalen befinden und ältere Analysekonzepte auf diese Gegebenheiten nicht mehr angewandt werden können.
Erstens: Die Technologisierung der Alttagswelt (Dampfschif, Auto,, Flugzeug, Kamera, Computer und Telefon).
Zweitens: Die Realität von imaginierten Welten. Jene haben ihre frühere Funktion als abgetrennte Vorstellungswelten abgelöst (z.B bei Anderson oder Baudrillard), bzw. haben sie sich weiterentwickelt und sind jetzt voll inkooperiert. Appardurai schreibt dazu:
„[...] the imagniation has become an organized field of social practices, a form of work (in the sense of both labor and culturally organized practice), and a form of negotiation between sites of agency (individuals) and globally defined fields of possibility. This unleashing of the imagination links the play of pastiche (in some settings) to the terror and coercion of states and their competitors.“ (S50)
Diese Annahmen und Faktoren werden gegen Ende des Textes in Zusammenhang mit dem Thema kulturelle Reproduktion Revue passiert, um die Auswirkungen und Wechselwirkungen der neuen globalen Landschaften auf der Mikroebene (z.B Eltern-Kind Beziehung) zu betrachten. In diesem Zusammenhang befand ich die Bemerkung von Appardurai über das Konzept des Habitus von Bourdieu interessant:
„As groups pasts become increasingly parts of museums, exhibits, and collections, both in national and transnational spectracles, culture bevomes less what Pierre Bourdieu would have called a habitus (a tactic realm of reproducible practices and dispositions) and more an arena for conscious choice, justification, and representation, the latter often to multiple and spatially dislocated audiences.“ (S60)
Ich finde die Theorie von Appadurai sehr gelungen. Der Theoretische Rahmen löst einige Schwirigkeiten der Globalisierungsdebatte auf, und bietet neue Ansätze. Etwas nachdenklich hat mich jedoch seine Analyse der kulturellen Reproduktion gemacht, und sein Begriff von Bourdieus Habitus. Daher möchte ich in diesem Zusammenhang dem Leser ein Zitat von Ingold zur verfügung stellen:
“[...] the habitus is not expressed in practice, it rahter subsists in it. What Bourdieu has in mind is the kind of practical mastery that we associate with skill – a mastery that we carry in our bodies and that is refractory to formulation in terms of any system of mental rules and representations.“
Diese Bemerkung soll uns daran erinnern, dass der Mensch, trotz Globalisierung, trotz Imagination und zunehmender Entfremdung ein Wesen ist, das Zeit braucht, um zu werden.

Donnerstag, 26. November 2009

Textbesprechung – Roland Robertson Glocalization: Time-Space and Homogeneity-Heterogeneity

Die Globalisierung ist das zentrale Thema des Textes von Robertson. In der Einleitung nimmt sich der Autor vor, die Idee der Globalisierung, an und für sich, zu besprechen.
Robertson argumentiert gegen eine, in den Sozialwissenschaften angenommene weltweite Homogenisierung und tritt für eine heterogene Globalisierungstehorie ein. Jene treibt er in seiner Konklusion so weit, dass er das Wort Globalisierung mit dem Wort Glokalisation tauschen möchte; da mit ihm – so der Autor - eine bessere Analyse der gegebenheiten der Globalisierung stattfinden könne. Die bessere Analyse – so der Autor - wäre die Anerkennung, das Diversität dem Homogenem innerhent ist. Kurz: das Ergebnis seiner Schrift ist, dass das Globale und das Lokale interdepedent sind, und daher nur gemeinsam betrachtet werden können.
Leider erwähnt Robertson nicht, dass Barth schon 1969 beschrieb, das Ethnizität nur in relation zweier Ethnien entstehen kann, und somit auch impliziert, dass das Eigene (Lokalität) nur in Verbindung zum Anderem (Welt/Global) entstehen kann. Hätte er sich z.B auf diese These gestützt (oder auf die 1979 von Luhamms beschriebene Idee, dass die technisierte Sichtweise der Welt gegenüber der Cosmolgischen im weltweitem Diskurs überwiegt), währe seine Argumentation, m.E. nach klar und deutlich herausgekommen und hätte sich nicht wie ein schnell geschnittenes Musikvideo dargestellt, indem hunderte von Dingen gezeigt, aber keines von ihnen betrachtet wird.

Der Autor rast durch die gängigen globalisierungs Theorien, wirft mit Zeit, Raum und Diskurskonzepte um sich, und vergisst auch nicht, Bourdieu zumindest in einer Klammer zu erwähnen. Auch aufgeladene Begriffe wie Kultur, Indigen, Raum versus Ort, Hybridisierung und Creolisierung werden ohne jede sinnbringende Erlauterung zusammengewürfelt. Jene Versuche, die Begriffsbestimmungen anklingen lassen, scheitern an dem masivem Gebrauch von Ausrufezeichen, denen sich der Autor – und dies muss ihm zugutekommen – gegen Ende des Textes selbst stellt: In einer Klammer schreibt er daher: „again with quatiotion marks.“
Zwischen den Zeilen könnte man herauslesen, dass er die guten allten Zeiten herbeisehnt, in denen Menschen noch als Abgeschlossene sogenannte small-scale-societies gesehen wurden. Der Autor liefert sich dieser Unterstellung aus, nachdem er bei passenden Textpassagen, die klärung dieses Themas schlicht auser acht läst.
Weiters ist der Text schwanger mit seiner Zeit. So gibt es eine haufige Refferenz auf den Momentanen diskurs, der jedoch keine weitere Erläuterung erfährt. Leider weis ich nicht wie 1995 der Diskurs ausgesehen hat, da ich damals gerade einmal zahrte zehn Jahre alt war und mit anderen Freuden und Sorgen lebte. Und so wage ich nicht, eine genauere Einschätzung des Textes vorzunehmen. Was mir bleibt, ist die Kritik an der Form. Für eine neuere Betrachtung des Themas, die auch über die sozialwissenschaftlichen Grenzen schaut, empfehle ich das Kapitel „Globes and spheres. The topology of envirement“ von Tim Ingolds Buch „The perception of the environment“

Dienstag, 25. November 2008

Kinship - Geschichte

Ich habe diese "Arbeit" für eine Note geschrieben, soll heißen: Ich hab sie innerhalb von 8 Stunden geschrieben, um 2 Uhr früh war ich fertig, soll heißen: Die arbeit bietet keinen genauen Überblick über das Thema "Kinship" aber hilft vielleicht dabei einen ersten Überblick zu bekommen. Anmerkungen sind erwünscht.

Einleitung:

Kinship wird heute von der Anthropologie als kulturelles Konstrukt gesehen, welches auf Abstammung (Deszendenz) und Heirat (affinale Beziehung) aufbaut. Es ist, so denke ich, nicht mehr der Mittelpunkt der Disziplin, aber Kinship ist wohl zu einem methodologischen Werkzeug geworden, das bei unterschiedlichsten Fragestellungen benutzt werden sollte. und sei es nur, um die vorausgegangenen Entwicklungen einer gegenwärtigen Situation zu verstehen.

Für diese Entwicklung brauchte die Disziplin Anthropologie ihre Zeit. Über die Frage, wann und wo sie begonnen hat läst sich bestimmt streiten. Viele sind jedoch der Meinung, dass die Victorianische Zeit die Wiege ist, in der „Kinship“ ihren Anfang nahm. Vielleicht nicht zuletzt, weil dies eine Zeit war, in der man zusehen konnte, wie die eigene Gesellschaft einen Zusammenbruch erlag, alte Regeln aufgehoben und neue geschaffen wurden. Auch war die Aufklärung in das Denken der Eliten gedrungen.
Vielleicht trug die Kombination aus verlorenem Glauben, dass heißt Unsicherheit, und das ständig weiter akkumulierenden Wissen, das sich anhäufte, zu einem Bedürfnis, das danach verlangte zu wissen, was eigentlich die eigene Natur sei. Ich würde nicht wagen zu behaupten, dass dies die Gründe für das Interesse für die Untersuchung von Verwandtschaftssystemen waren. Aber ich könnte mir vorstellen, dass dies die Gründe waren, warum eine so herzhafte Diskussion um sie entstand. Immerhin wurde durch neue Informationen, die man von anderen Völkern bekam das eigene Weltbild auf den Kopf gestellt. Nicht, dass man das öffentlich zugegeben hätte, oder auch nur für sich selbst zugeben wollte, aber es war einfach interessant zu wissen, warum man diesen „Negern“ und „Indianern“ überlegen war. Oder auch, warum man im Recht war, wenn man gegen die Obrigkeit anging und die Gesellschaft ändern wollte (Marx hatte unter anderem die Schifften von Morgen studiert und sie für seine Theorien verwendet). Diese Dinge betrafen bestimmt das ganze Fach Anthropologie und dadurch auch Kinship.

Auch ging ein Gespenst in Europa um: Der Evolutionismus. Dieser von Darwin geprägte Begriff wurde von vielen Gelehrten verwandelt und zu einem unilinearen Evolutionismus gemacht. Dieser geht davon aus, dass sich jede menschliche Gesellschaft durch bestimmte Stadien entlang Entwickelt, an dessen Ende natürlich die eigene Gesellschaft, das heißt die Zivilisation steht. Darwins Evolutionismus, den er in seinem Werk „On the Origin of Species“ (1859) formulierte, sagte nämlich etwas anderes. Laut Darwin bedeutete Evolutionismus die Veränderung bzw. die Anpassung von Lebewesen an bestimmte Habitate und Lebensumstände. Er sprach nie von linearen, vorgegebenen Entwicklung.
Nachdem jedes Volk, das Militärisch und Wirtschaftlich unterlegen war, als primitiv angesehen wurde, glaubten die Gelehrte, dass sie durch deren Erforschung in ihre eigene Vergangenheit schauen könnten.
Im folgendem will ich versuchen, die wichtigsten Wegbereiter von dem heute verwendeten Begriff „Kinship“ vorzustellen.

Personen

L. H. M Maine (1822 – 1888), ein Jurist, hat eines der ersten Werke geschrieben, das Verwandtschafssysteme zum zentralem Thema hat. „Ancient Low“ wurde 1861 veröffentlicht. Main vertrat die Meinung, dass jede Gesellschaft an eine unilineare Evolution gebunden ist. Er nannte dieses Prinzip: „from Status to contract“. Jenes bedeutet, grob gesagt, dass jede Gesellschaft zuerst durch Familie und Abstammung organisiert ist, um in weitere Folge, durch Gesetze und Regeln, dem einzelnem Individuum die Möglichkeit gibt, unabhängig von Familie und Abstammung, in seiner Gesellschaft zu handeln. Erst der Status „contract“ ermöglicht dem Individuum wirkliche Freiheit. Diese Annahme erinnert stark an die Theorie des Gesellschafsvertrages, die von Jean-Jacques Rousseau im 18 Jahrhundert geprägt wurde. Nur das Main nicht wie Rousseau an den edlen Wilden, in dessen Gesellschaft alle gleich waren, glaubte. Main vertrat lieber das Prinzip des allumfassenden Patriarchats und vielleicht ist dies auch der Grund, warum er sieben Jahre lang als Kolonialbeamter nach Indien ging, vielleicht wurde ihm ja sein Großbritannien zu „aufgeschlossen“. Wie auch immer es gewesen war, er kehrte wieder zurück und lehrte an der Universität Oxford und Cambridge.

Ein Schweizer Jurist war anderer Meinung: J.J Bachofen (1815-1877). In seinem Werk „Das Mutterrecht“, welches ebenfalls 1861 erschien, beschreibt er die Entwicklung von einer, ursprünglich durch Frauen „regierten“ Gesellschaf (Matriarchat) zu einer von Männer regierten (Patriarchat). Er sah dies als notwendige und gute Entwicklung. Ironischerweise wurde seine Theorie von der feministischen Strömungen aufgenommen und zur eigenen Argumentation verwendet.

McLenan (1827 – 1981) Der Jurist prägte den Begriff der Exogamie und ging ebenfalls, gleich wie Bachofen, von einem ursprünglichen Matriarchat aus, ignorierte aber den Selbigen.

Morgen (1818-1881) war ebenfalls ein Jurist. Seine Werke „Systems of Caonsanguinity and Affinityx of the Human Family“ (1871) und „Ancient Society“ (1877) werden wohl am häufigsten Zitiert, wenn es um die „wirklichen“ Anfänge der Kinshipforschung geht. Er betrieb Feldforschung bei den Irokesen und fand dabei heraus, dass ihre Gesellschaft auf Matrilinealität (Nur Mütter werden in die Deszendenz aufgenommen) aufbaut. Er formulierte ein evolutionistisches drei Stufen Modell, welches besagt, dass sich Gesellschaften von der Wildheit zur Barbarei und dann zur Zivilisation entwickeln.
Weiters prägte er die Begriffe klasivikatorisch (nach Morgen Primitiv) und deskriptiv (nach Morgen zivilisiert). Klasivikatorisch bezieht sich auf Begriffe der Verwandtschaftsterminologie, es bedeut, dass keine Unterschiede zwischen linearen und kollateralen Verwandten gemacht wird. In der Praxis bedeutet dies, dass z.B der FB ebenfalls als Vater bezeichnet wird. Deskriptive Systeme unterscheiden diese Verwandten voneinander.
Er fand auch heraus, dass andere Gesellschaften, das gleiche Verwandtschaftssystem hatten, wie die Irokesen. Durch diese Erkenntnis glaubte er – über die Untersuchung von Kinshipsystemen – Beweise zu finden, dass die Ureinwohner von Nordamerika, von Ostasien auf den Kontinent gelangt waren. Diese Idee inspirierte ihn zu weiteren Forschungen von Kinshipsystemen bei unterschiedlichsten Völkern. Diese mündeten in ausführlichen komparativen Studien.

Als nächstes folgte W.H.R. Rivers (1864 – 1922). Jener war nicht nur Arzt und Psychologe sondern auch Teil der „Torres Straits Expedition“, auf der er eine neue Methode für die Beforschung von Verwandtschaft entwickelte. Die genealogische Methode ist das bis heute Verwendete Modell – zumindest in ihren Grundzügen. Es geht im Prinzip darum, die Position des Egos in einer Gesellschaft festzustellen. Rivers beschreibt diese Methode in seinem Werk „Notes and Queries on Anthropology“ (1912). Rivers meint auch, dass seine Methode in Situationen gut geeignet ist, wenn die Sprachfähigkeiten des Anthropologen noch zu wünschen übrig lassen. Seine Methode wurde unter anderem von Robin Fox und Alan Bernard weiterentwickelt. Sie findet heute in vielen Bereichen Anwendung, die nicht direkt mit Anthropologie in Verbindung stehen. Zum Beispiel bei der Untersuchung von ADS Ausbreitung in Afrika.
Die bekanntesten Schüler von Rivers waren Redcliff-Braun und Malinowski. Jene wandten sich aber von den diffusionistischen Ideen ihres Mentors ab und führten den Funktionalismus in die Anglo-Sächsische Anthropologie ein.

Erst nach dem 2 Weltkrieg kam frischer Wind in der Verwandtschaftsforschung auf. Das neue Zentrum der Forschung war nicht mehr Europa bzw. England sondern Amerika. Die Europäische Rettung für die „alten Theorie“ kam von Lévi-Strauss. Jener entwickelte seine Ideen aber ebenfalls zu einem beträchtlichen Teil in den USA, wird aber zu dem frankophonem Raum gerechnet. In seinem Buch „The Elementary Structures of Kinship“ (1949) legt er besonderes Augenmerk auf den Frauentausch und somit auch auf Affinalbeziehungen (Jene sind verwandtschaftlichen Beziehungen, die nicht auf Blutsverwandtschaft gründen).

Weiteres wurde erst nach dem zweitem Weltkrieg bilaterale Deszendenzsystem (Jene Verwandtschaftssysteme die sowohl die matrilineale- und patrilineale Abstammung einbeziehen) wirklich untersucht und beachtet. Auch wurden den Affinalbeziehungen mehr Aufmerksamkeit geschenkt.
Zwei Figuren, die sich nach dem zweiten Weltkrieg in Amerika mit Verwandtschaft auseinandersetzten waren J. P Murdock und A. Kröber. Murdock gab einen ethnographischen Atlas heraus, in dem er Kulturareale beschreibt. Weiters führte er 9 neue Dimensionen in die Grundverwandtschafsbeziehungen ein. Kröber beschäftigte sich mit der semantischen Analyse von Verwandtschafsbegriffen.

David Schneider (1918 – 1995) führte die Kinshipforschung in die Postmoderne. Zuerst als Rebell angesehen, wurde er zu einer wichtigen Person im Fach. Schneider geht davon aus, dass man im Grunde überhaupt nichts über Verwandtschaftssysteme aussagen kann, da jede Betrachtung immer subjektiv und aus dem eigenem Kontext herauswächst. Seine Verknüpfung von symbolischer Anthropologie und Kinship wird in seinem 1968 erschienenen Werk lesbar („American Kinship: A Cultural Account“).
Eine Weitere Entwicklung stellt der feministische Ansatz da. Jener wurde vor allem von Sylvia Yanagisako und Jane Collier vertreten und tritt dafür ein, das Themen von Gender und Kinship gemeinsam Untersucht werden.

Ausblicke


Wie in der Einleitung erwähnt, ist Kinship zu einem wichtigen Werkzeug der anthropologischen Forschung geworden. Dank der Entwicklung der verschiedenen Ansätze ist nun ein Kanon an Theorien entstanden, der viele weitere Forschungen zulässt und in Kontext setzt. Ich denke auch, dass anhand der Wissenschaftsgeschichte, besonders in diesem Bereich, viel über unsere eigene Gesellschaft gelernt werden kann und somit ebenfalls zu einer Aufklärung beiträgt, die Simplifizierungen, welcher Art auch immer, in Zukunft vermeidet.


Literatur:


Barnard A. 2000:
History and Theory in Anthropology Cambridge

Barnard A., Spencer J. (Hg.) 2002:
Encyclopedia of social and cultural anthropology, London, New York.

Eriksen, T. H. 2001
Small Places, Large Issues: An introduktion to Social and
Cultural Anthropology. Chippenham and Eastbourne.

Sowie: Vorlesungsunterlagen und Skripten.

Sonntag, 10. August 2008

Vergleich von ehar, Ruth. Translated Woman. Crossing the Border with Esperanza’s Story pp. 1–20. VS Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography. pp. 1–27.

Geschriebenes kann und sollte nicht von dem Charakter getrennt werden, der hinter der Hand steht, die Buchstaben, Wörter und Sätze zu einem Ganzen zusammenfügt.
Dies ist auch bei der Autorin, Ruth Behar (1993) und dem Autor James Clifford (1986), nicht anders. Beide sind Kinder ihrer „Zeit“, und beide sind im Grunde US Bürger. Mit Zeit meine ich, dass sie beide, sehr wohl auf unterschiedliche Art und Weise, aber doch, der Postmoderne folgen. Man merkt wie beide Autoren nach neuen Wegen suchen, ihren Überzeugungen den richtigen Rahmen zu geben und diese neue Bewegung, die auf den unglücklichen Namen „Postmoderne“ getauft wurde, ist sozusagen der Schutzpanzer, der es ihnen ermöglicht, einen neuen Weg zu gehen.
Eine weitere Gemeinsamkeit, die auch mit der gerade erwähnten zusammenhängt, ist, dass beide Autoren sich von der Vergangenheit ihres Faches lösen wollen, ja, sogar befreien wollen, sie wollen - um einen deutsch geprägten Begriff zu verwenden – ihre Vergangenheit „aufarbeiten“.
Die Wirtschaftskrise der 70 Jahre war überwunden, die „Kulturrevolution“ der Hippies klang ab, und der Krieg war beendet - Amerika war dabei seine wirtschaftliche und militärische Vormachtstellung auszubauen. Das ganze unter dem Namen der Freiheit und der Demokratie, die eben auch Geld für die kritischen Stimmen (egal ob Universitäten oder andere Einrichtungen), bereitstellen musste, das gehört, oder gehörte zumindest zum guten Ton einer demokratischen Weltmacht. Es wäre jedoch kurzsichtig, die Texte nur im Bezug auf ihre Entstehungszeit zu betrachten, denn genau wie die Zeit nur die Anzahl von unendlich vielen Möglichkeiten ist, sind die Möglichkeiten der jeweiligen Zeit schier unerschöpflich, und was wäre der Mensch, wenn er nicht immer wieder das Selbe anders tun, erleben und erfahren würde.

Ruth Behar wurde als Tochter jüdischer Migranten in Havanna 1956 geboren, ihre familiären Wurzeln liegen in mütterlicherseits in Polen und ihr Vater stammt aus der Türkei. Im Alter von vier Jahren wanderte Behar mit ihrer Familie, aufgrund der kommunistischen Revolution, nach New York aus. Ruth Behars Interesse an ihrem Geburtsland und besonders an der dort verbliebenen jüdischen Gemeinde, ist bis heute stark geblieben. Ein Buch und ein Film entstammen der Sehnsucht und Bewunderung für dieses Fleckchen Erde und seiner Kultur. Mir scheint auch, dass durch ihr soziales Umfeld und besonders durch ihre Lebensgeschichte ein Bedürfnis nach „Praxis“ in ihr gewachsen ist; sie scheint jemand zu sein, der Etwas tun, Etwas bewegen will. Ich kann zwar kein wirkliches Urteil fällen, aber ich habe das Gefühl (welches sich auf Interviews und auf kleine Informationspartikel stützt), dass sie als Frau in einer jüdischen Familie eine zwiespältige Position gehabt hat. Einerseits respektiert, doch auf der anderen Seite kritisiert führ ihre Wünsche und ihr Streben in eine Wissenschaft vorzudringen, die sozusagen in Männerhänden war (Gelya 1995). Diese Situation trug auch dazu bei, das Buch „Translated Women“ (1993) zu schreiben (Gelya 1995). Es handelt von einer mexikanischen Staatsbürgerin, einer Frau, die Behar im Laufe ihrer Mexikoforschung kennen lernte und zu welcher sie immer engeren Kontakt aufbaute, bis zu dem Moment, als Behar beschloss, die Lebensgeschichte dieser Frau (welche aus ärmlichen Verhältnissen stammt und im Buch das Synonym „Esperanza“ erhält) schriftlich festzuhalten.
Laut Behar, hat Esperanza selbst den Wunsch nach einem Buch, das ihre Geschichte erzählen soll, geäußert, und so schreibt Behar „If nothing else, I’ve given her a book almost as big as the life she has lived“ (1993: XII). Das Buch ist also eine Monografie, die eigentlich keine ist, da sie die erzählte Geschichte von jemandem erzählt, der nicht der Autor ist (oder doch?). Behar spricht dieses Problem in ihrer Einleitung intensiv an, angefangen von den methodologischen Problemen, den moralischen und den ganz persönlichen Gewissensbisse, die dieses Buch ihr abverlangt haben. Es geht um Wechselwirkungen von Selbst- und Fremdverstehen, und von der Schwierigkeit, Prosa von wissenschaftlichem Text zu trennen. Behar arbeitet mit Emotionen und mit ihrem aus Leben gewachsenen feministischen Anspruch. Sie argumentiert ihr Vorgehen damit, dass sie den Menschen eine Stimme geben will, sie als persönliche, denkende, handelnde und interpretierende Wesen zeigen will. Sie will mit der Tradition brechen, Menschen, besonders Frauen, nur unter ihren ökonomischen Zwängen darzustellen, die vereinheitlichen, abstempeln und das Vergessen von Leid und Schuld um so vieles einfacher machen.
In ihrem Text beschreibt sie daher auch viele selbst erlebte Szenen: Zum Beispiel berichtet sie darüber, dass sie Esperanza einen Fernseher gekauft hat oder, dass ihr kleiner Sohn oft bei den Erzählungen von Esperanza lauschend mit dabei war (Behar 1993: 11). Aufgrund dieses Stils musste sie sich auch viel Kritik gefallen lassen, die ihr „Unwissenschaftlichkeit“ und „Subjektivität“ vorwarf, welche aber durchaus ihren Ausgleich in den Bewunderungen gefunden hat, die ihr durch dieses Buch von Kollegen und Öffentlichkeit zugetragen wurde (Gelya 1995).

James Cliffords Buch, oder besser gesagt, der von ihm herausgegebene Sammelband „Writing Culture“, dessen Untertitel „The Poetics and Politics of Ethnography“ lautet (ganz im Gegensatz zu Behars, eher emotionalem Buchuntertitel „Crossing the Border with Esperanza’s Story“), ist nicht offensichtlich durch eine persönliche Geschichte entstanden. Viel mehr macht er in seiner Einführung, die sich „Introduction: Partial Truths“ nennt, klar, dass es ihm um ein neues theoretisches Verständnis der Kulturbeschreibung geht, auch wenn das sehr wohl eine „persönliche Angelegenheit“ ist, die aus eigenen Erfahrungen und Einstellungen resultiert, hat sie den Anschein einer eher unpersönlichen philosophischen Erörterung.
Clifford studierte nicht nur Anthropologie. 1977 erhielt er den PhD für Geschichte an der Harvard Universität. Somit war sein Blick für Dinge wahrscheinlich ein ganz anderer als Behars. Nachdem er kein Marxist war (zumindest habe ich nichts feststellen können, was darauf hindeuten würde), blieb ihm die Geschichte als Schatztruhe, in der er wühlen konnte, um das richtige zu finden. So beschäftigt sich „Writing Culture“ mit der Frage, in welcher Weise man mit älteren und neuen Texten, welche Kulturen beschreiben, umgehen kann. Er fragt sich (in der Einleitung seines Sammelbandes), was es überhaupt bedeutet eine Kultur (so schwammig dieser Begriff auch sein mag) anhand eines Textes festzuhalten. Er zweifelt an der Objektivität der Texte und der Autoren und Autorinnen, die sie geschrieben haben. Er stellt - und das ist für mich besonders wichtig – die Frage, wie kann eine sich ständig verändernde Kultur als etwas Fixes beschrieben werden, ohne dabei nicht automatisch einen Trugschluss zu erzeugen. Wie kann die menschliche Realität, die noch keiner erfasst hat, einer allgemeinen Methode untergeordnet werden.
Auch die Frage der Macht, die bei vielen Ethnografien eine wichtige aber verschwiegene Rolle spielt, behandelt er in seinem Text. Die Situation der Frau in ethnographischen Berichten wird kritisiert, denn sie sind meistens (hier treffen sich Behar und Clifford) nicht als denkende, interpretierende und vor allem nicht als handelnde Menschen beschrieben, sondern werden in eine passive, bloß von Reaktionen bestimmte Rolle gesteckt. In diesem Zusammenhang schreibt er über das Buch Davinity and Exprience: The Religion of the Dinka (Lienhard 1961): „Only once is a woman’s view mentioned, and it is in affirmation of men’s relation to cows, saying nothing of how women experience cattle“ (Zit. nach: Clifford 1986: 17). Er reflektiert auch über denn damals verwendeten Gebrauch von Sprache; die generell das Weibliche negierte und wie dumm es eigentlich war (und teilweise noch ist), mit zu allgemeinen Begriffen zu arbeiten, die oft nicht erkennen ob von Mann oder Frau die Rede ist.
Der Text reflektiert über viele Aspekte der geschriebenen Kultur und Geschichte, über die Subjektivität und über die daraus resultierenden Umgangsformen mit diesen Texten. Sein Text ist sozusagen wesentlich „wissenschaftlicher“ (im kommerziellen Sinne), als Behars. Es handelt sich nicht um eine Monografie, sondern um einen Sammelband. Sammelbände haben es leichter Objektivität einzufordern, da sie innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinde in einem angeblich – nennen wir es – demokratischem Meinungsaustausch entstanden sind. So können Autorinnen und Autoren durch gegenseitiges Zitieren ein Netz knüpfen, in dem sich nur all zu leicht unkritische Fische verfangen. Ich denke aber nicht, dass Clifford dies notwendig hatte. Ich denke, dass er mit seiner kritischen Stimme, die quasi (wollte man es aus einer bestimmten Perspektive betrachten, ich betrachte ihn nicht aus dieser), die Arbeit früherer Anthropologen zunichte machte und damit den Ärger mancher Kollegen auf sich zog.

Behar und Clifford treffen sich also in der Zeit, wo Kritik möglich geworden war, wo das globale „Verständnis“ des Wissens (da es immer mehr davon gab und dieses auch immer schneller zur Verfügung steht), und vor allem des Bewusstseins eine neue Dimension ereichte. Ein Generationenwechsel war gekommen und somit konnten auch neue Wahrheiten geschaffen werden. Dieser Wechsel führte in diesem Fall zu klugen Überlegungen, die von Werten getragen wurden, die die menschliche Würde und den Gedanken an Freiheit und Selbstbestimmung in sich trugen. Behar ging diesen Kampf (es ist immer ein Kampf etwas Neues zu gebären) praktischer an als Clifford, der sozusagen mit dem Theoretischen den Sprengstoff mischte, der ein neues Denken einleiten sollte, die Postmoderne. Die Beiden ergänzen einander, im Rahmen der Möglichkeiten, die ihnen die Zeit gegeben hat und hoffentlich noch geben wird.

Literatur:

Behar, Ruth (1993) . Introduction. The Talking Serpent. In: Behar, Ruth. Translated Woman. Crossing the Border with Esperanza’s Story. Boston: Beacon Press, pp. 1–20.

Clifford, James (1986). Introduction: Partial Truth. In: Clifford, James/Marcus, George E. (eds). Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography. Berkeley et al., pp. 1–27.

Gelya, Frank (1995). Ruth Behar’s Biography in the Shadow: A Review of Reviews, In: American Anthropologit. New Series, Vol. 97, No. 2, pp. 357–359.

Vergleich zwischen Einführung von "Die Gabe" VS Einführung von "Das wilde Denken"

Wenn ich zwei Texte vergleiche, unter welcher Fragestellung sollte ich dies tun? Der Vergleich ist immer ein schwieriges Unternehmen, denn um zwei Dinge – egal ob zwei Schuhe oder zwei Texte – miteinander zu vergleichen, bedarf es der Festlegung von Faktoren, die verglichen werden können. Dies kann zu mehreren Problemen führen: Angenommen ich will einen Wanderschuh mit einem Sportschuh vergleichen, so muss ich erst wissen, was durch den Vergleich herausgefunden werden soll.
Eine Produktionsfirma wird wissen wollen, mit welchen Schuhen sie den größten Profit generieren kann, demnach werden andere Kriterien herangezogen werden, als, sagen wir, bei einem ärmlichen Armenier, der sich nur alle zwei Jahre neue Schuhe kaufen kann. Die Firma wird auf Material und Produktionskosten sowie die allseits einkalkulierte „Nachfrage“ achten, um ihren Absatzmarkt bestimmt zu glauben; während der Armenier wahrscheinlich Lebensdauer, Preis und soziales Prestige vergleichen wird. Diesem Gedankengang folgend, ist das Gegenüberstellen immer eine Frage der Absicht und des Anlasses. Da ich aber weder Schuhfabrikant noch armer Armenier bin, sondern zwei Texte vergleichen will, muss ich meine Bedürfnisse von der harten Realität in andere Sphären verlegen. Trotzdem will ich praktisch bleiben, stelle also die simple Frage, welcher der beiden Texte praktikabler für den Menschen ist – es handelt sich einerseits um die Einführung in „Das wilde Denken“ von Lévi-Strauss, erschienen 1962; und andererseits um die Einführung in dem 1950 erschienenem Buch von Marcel Mauss „Die Gabe“.
Bei Praktikabilität denke ich vor allem an zwei Eigenschaften: Wie sind die Texte aufgebaut und welcher Aufbau führt zu einem besserem Verständnis der Botschaft; und zweitens, welche Botschaft der Autoren, kann praktischer, also im Leben und täglichem Handeln, für das Seelenwohl dienlich eingesetzt werden.
Durch diese Kriterien wird die Beurteilung sehr subjektiv, trotzdem werde ich versuchen, meine Argumente nachvollziehbar darzustellen.
Die beiden Texte sind durch unterschiedliche Dinge verbunden. Lévi-Strauss war ein Schüler und Verwandter von Marcel Mauss. Zwischen den Veröffentlichungen der beiden Werke liegen etwas mehr als zehn Jahre, was nicht all zu viel ist, aber doch reicht um vieles anders werden zu lassen; und als Folge dieser Umstände ergibt sich, dass eine ähnliche Denkschule - oder sagen wir lieber Denkkultur - Mauss und Lévi-Strauss beherrschen.
Auch wenn Lévi-Strauss noch im zweiten Weltkrieg auf dem amerikanischen Kontinent neue Erfahrungen, und im speziellen in New York neue Gedankenansätze kennen und nutzen gelernt hatte, verbindet die beiden Autoren (so scheint es mir), die intellektuelle und gutbürgerliche Art der Pariser Intellektuellen.

Mauss wird 1872 geboren, „lernte“ unter anderem bei Émile Durkheim, dessen Neffe er war. Er erlebte die industrielle und die kommunistische Revolution, den ersten und zweiten Weltkrieg, verlor viele Freunde und Kollegen an dieser Sinnlosigkeit, und stirbt 1950 in Paris. Mauss hat in einer Zeit gelebt, in der der Wechsel, den die Gesellschaft machte und weiterhin macht, stark spürbar wurde (der Kontrast von Alt und Neu war damals gegenwärtiger als heute, man muss sich nur vorstellen, was die einfahrende Eisenbahn für ein Spektakel gewesen war); er hat gesehen, wie viel Schmerz dieser Wechsel mit sich bringt und wie dumm es wäre diese Anstrengung (die so viel Glück verschlingt, und so viel Leid hervorbringt), nicht zu nutzen, um eine „bessere“ Welt aufzubauen. Ich denke, dass diese Faktoren auch sein wissenschaftliches Streben nach Erkenntnis bestimmten.

„Die Gabe“ handelt von der Tauschwirtschaft und den sozialen sowie rituellen Regeln, die mit dieser einhergehen. Mauss will beweisen, dass „archaische Gesellschaften“ sehr wohl ein „Wirtschaftsleben“ hatten, dieses aber mit anderen Gesetzmäßigkeiten als den kapitalistischen ausgestattet war. Und er will aufzeigen, dass der Tausch (hauptsächlich durch Potlatsch oder Kula), für eine Gesellschaft, wesentlich verträglicher ist, als es die kapitalistische Marktwirtschaft ist.
Er benutzt dazu den Begriff „totales gesellschaftliches Phänomen“, jener ist auch eine Methode, die anhand eines einzelnen Phänomens, die Gesamtheit der gesellschaftlichen Strukturen zu klären versucht. Alles kreist, wie die Planeten um die Sonne, um dieses „totale Phänomen“
Abgesehen davon, dass die Einführung von Mauss wesentlich kürzer ausgefallen ist, als die von Lévi-Strauss, gibt es noch andere Unterschiede: Mauss arbeitet mit einer gut verständlichen Sprache und gibt den Wirren der Wissenschaft hauptsächlich in den Fußnoten Platz. Der Haupttext bleibt dadurch klar und man kann der Argumentation ohne Ablenkung folgen.
Weiters ist die Einführung durch vier Zwischenüberschriften aufgeteilt (z.B. Programm, Methode), das erleichtert ebenfalls das Verstehen für den Text. Auch ist die grafische Aufbereitung ein gutes Hilfsmittel, zum Beispiel ist die exakte Fragestellung kursiv gedruckt (S18).
Kurz gesagt: nach der Einführung weiss man, auf was man sich mit diesem Buch einlässt (zumindest ist es nicht weniger als die Einführung erwarten lässt) und das ist, meiner Meinung nach, auch der Sinn einer Einführung.

Anders sieht das für mich bei Lévi-Strauss aus, wobei man zu seiner Verteidigung sagen muss, daß er sein erstes Kapitel nicht „Einführung“ nennt, sondern „Die Wissenschaft vom Konkreten“ nennt. Als ich diesen Titel las, war es leider nicht sehr konkret für mich was damit gemeint war. Abgesehen davon, das Lévi-Strauss ein wesentlich fachspezifischeres Vokabular benützt, gliedert er das, was Mauss in seinen Fußnoten abhandelt, in den Haupttext ein. Dadurch wirkt der Text dichter und komplexer, aber dafür ist es auch schwierig eine klare Argumentationslinie „herauszulesen“. Weiters arbeitet Lévi-Strauss in diesem Kapitel, mit einem Konglomerat von anderen Autoren und streut diese, manchmal als Hilfsmittel, manchmal als Bestätigungen für sein Geschriebenes, in den Text hinein. Dafür ist der Text dieses Kapitels, meiner Meinung nach, der charmanteste Teil des gesamten Buches: Philosophisch, sehr geistreich, manchmal etwas angespannt geschrieben, aber ansonsten wirklich eine inspirierende Fundgrube. Hier wird, im Gegensatz zu Mauss, aber etwas versprochen (wenn man dieses Kapitel als Einleitung betrachtet), was das Buch im Weiteren, zumindest für mich, nicht halten kann. Nach diesem ersten Kapitel habe ich mehr erwartet, als gekommen ist; bei Mauss war das eher umgekehrt.

Lévi-Strauss hat die Kriegswirren mit etwas Abstand miterlebt; und der „große Wechsel“ zur Industriewirtschaft, vor allem zur Marktwirtschaft, war für ihn nicht so kontrastreich, wie für Mauss. Er wurde 1908 geboren, kam in den 40er Jahren nach New York (er war aus Frankreich geflohen). Er entwickelte seine Theorien, in einer Zeit, in der eine neue Revolution aus den Kinderschuhen wuchs: Die Welt der Computer, der Nullen und Einsen, die vor allem mit dem Hintergrund der Rationalisierung aller Lebensbereiche, die Hoffnung vieler zukünftiger Probleme war. Und mit der weiter anhaltenden Faszination dieser neuen Welt, die damals mit Lochkartensystemen und Tonbändern arbeitete, wurde auch die Idee des Strukturalismus bemüht. Dies war sicherlich auch ein Grund warum dieser die unsichtbaren Grenzen der anthropologischen Disziplin überwand.
Ich glaube, Lévi-Strauss war in seinem Denken zwischen zwei Welten hin und her gerissen. Auf der einen Seite war er der Schule von Mauss verpflichtet (und somit der Pariser Intellektuellen im Speziellen und der europäischen Philosophie im Allgemeinen), auf der anderen Seite wollte er auf diesen neuen Zug der Rationalität aufspringen um seinen Beitrag zu leisten.

Die beiden Texte erzählen somit unterschiedliche Geschichten und enthalten dadurch unterschiedliche Wahrheiten, Träume und Hoffnungen, obwohl sie so nah beieinander liegen. Praktischer und verständlicher scheint mir das „Konzept“ welches Mauss verfolgte. Wichtig erscheinen mir beide. Depressiv könnte mich Lévi-Strauss und sein Strukturalismus machen, Hoffnung und Zuversicht hat mir Mauss gemacht. Was aber nun besser für den Menschen ist, was praktikabler für den Wissensdurstigen, das muss wohl jeder für sich selbst entscheiden.

Mauss, Marcel [1950] 1990. Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischien Gesellschaften. Frankfurt A.M.: Suhrkamp.

Lévi-Strauss, Claude [1962] 1973. Das wilde Denken. Frankfurt A.M.: Suhrkamp.

Sonntag, 15. Juni 2008

Introversion und Extraversion im anthropologischem Kontext

Einführung

In der folgenden Arbeit will ich untersuchen ob Jung’s „Typologie” in einem anthropologischen Zugang sinnstiftend wirken könnte. Mein Interesse gilt vor allem Jung’s Annahme, daß jeder Mensch von Geburt an entweder extrovertiert oder introvertiert veranlagt ist. Also ob der Mensch von Anfang an sich Selbst am außen Gegebenem orientiert, oder ob er sein Leben nach seinen „inneren” Wahrnehmungen ausrichtet.
Diese Annahme impliziert für mich, daß im Menschen ein inneres Fixum existiert, welches, die „innere” Wahrnehmung der Realität entscheidend beeinflusst; ähnlich wie das, nach außen hin sichtbare Geschlecht oder Alter, könnte die Introversion und Extraversion ein weiteres Unterscheidungsmerkmal darstellen.
Zu diesem Zweck habe ich anfangs versucht herauszufinden warum Jung’s Theorien über den Menschen so wenig Aufmerksamkeit erhalten haben und erhalten. Sodann gehe ich kurz darauf ein, wie die Wissenschaft das „Selbst” behandelt und was den „Einzelmenschen” eigentlich ausmacht. Um dann zu sehen, ob Teile von Jung’s Theorie über den Menschen innerhalb der anthropologischen Theorie Früchte tragen könnte.
Die Annahmen der „Typologie” erwuchsen aus Jung’s eigenen Forschungen, ärztlichen Erfahrungen, aus dem Studium der Geschichte, vor allem der Geistesgeschichte von Euro-Asien, sowie aus der Mythenforschung.

Meine Überlegungen beruhen auf Literatur und aufgrund von Eindrücken, die das Leben an mir hinterlassen hat. Mein direktes Arbeitsmaterial bestand im Grunde aus dem Buch „Typologie” welches die Hauptarbeiten von C.G Jung über seine, wie der Titel schon sagt, Typologie zusammenfasst. Jene stammen aus den Jahren 1921, 1923 und 1936. Die „Encyclopedia of social and cultural anthropology” (Hg. Bernard, Spencer 2007) in der ich vor allem die Beiträge über die Person bearbeitet habe. Das Buch „Small places, large issues” (Eriksen: 2001). Sowie das Etymologische Wörterbuch „Kluge” (Hg. Gruyter: 2002). Ich nehme nicht in Anspruch dieses große Thema umfassend bearbeitet zu haben, trotzdem hoffe ich, dem Gegenstand etwas näher gekommen zu sein.

Warum Jung für die Anthropologie interessant sein sollte.

Um dem Vorwurf der Psychologisierung vorzubeugen, möchte ich darauf hinweisen, daß Jung’s Zugänge zum Menschen viele Schnittstellen, ja, sogar Überschneidungen mit Anthropologen und Soziologen, zumindest jener Zeit, hatten.
Daher scheint mir, daß Jung’s Konzepte über den Mensch, durchaus auch in einem anthropologischen Zusammenhang, zumindest eine Betrachtung verdienen. Dies ergibt sich auch daraus, daß Jung, nicht nur Psychologe war, sondern eher zu jenen Forschern gehörte die einen anthropologischen Zugang hegten, wenngleich er nicht das wissenschaftliche „Ideal” repräsentiert.
Jung beschäftigte sich mit dem Menschen an sich. Es war nicht sein Anliegen ein gewisses Unterbewusstsein zu erforschen oder andere psychische Teilgebiete zu untersuchen. Es ging ihm um ein universelles Verständnis des Menschen mit all seinen Zusammenhängen und Abhängigkeiten.
Die Überlegungen der Elementargedanken und Völkergedanken teilt er mit A. Bastian. Und seine Ansicht über die Entwicklung der Person, erinnert mich an den anthropologischen Zugang, welcher davon ausgeht, daß das Einzelbewusstsein erst durch das Kollektiv entstanden ist (vgl. Carrithers 2002: 419 - 22, Jung 1921: 147f).
Jung geht ebenso von einer ursprünglichen kollektiven Identität aus: „Die psychologische (Identität( setzt ihr Unbewusstsein voraus. Sie ist ein Charakteristikum der primitiven Mentalität und die eigentliche Grundlage der >>participation mystique<< welche nämlich nichts anderes ist, als ein Überbleibsel der uranfänglichen psychischen Ununterschiedenheit von Subjekt und Objekt, also des primordialen unbewussten Zustandes” (Jung 2003 (1921(: 148).

Weiters möchte ich darauf hinweißen, daß Jung, im Gegensatz zu vielen anderen Gelehrten der damaligen Zeit, archaische Gesellschaften nicht abwertete sondern in seinen Schriften mit vollem Respekt behandelte und in diesem Zusammenhang eher darauf hinwies, daß „westliche” Denkweisen einiges von archaischen Kulturen lernen können. Er unternahm Forschungsreisen zu indigenen Kulturen in Nordamerika und Afrika. Weiters hat er in psychiatrischen Anstalten Menschen unterschiedlichster Milieus behandelt und untersucht. Unter diesen Aspekten war er wohl einer der wenigen Forscher, der damaligen Zeit, die einen so lebhaften Zugang zu seinem Forschungsgegenstand hatten.

Die Suche nach dem Selbst.

Das Ergründen des Menschen, seines Wesens, gleicht oft einer Bestandsaufnahme; wobei die Gegenstände, meist besondere Aufmerksamkeit erhalten, welche sein veräußertes Verhalten begründen. Die Frage warum, wie und weshalb eine Person auf eine bestimmte Art und Weise handelt, ist umstritten. Doch nicht nur das, meiner Ansicht nach, scheint auch keine Klarheit darüber zu herrschen, was nun eigentlich den Einzelnen in der Gruppe ausmacht, und ob der „Einzelne” ein Eigenes, von den übrigen psychophysikalischen Individuen getrenntes, „Selbst” besitzt.

Der einzelne Mensch ist für jede Wissenschaft, für jede Philosophie oder Religion ein eigenes Theoretikum, das unter der jeweiligen wissenschaftlichen Perspektive untersucht wird.
Die Anthropologie scheint sich zumindest auf zwei Dinge geeinigt zu haben, welche unabhängig von sozialen und kulturellen Verschiedenheiten existieren, und in jeder Gesellschaft zu Unterscheidungen führen: Geschlecht und Alter. Diese a priori vorhandenen Eigenschaften sind sozusagen fixierte Unterscheidungsmerkmale, auch wenn diese in unterschiedlichen Kulturen verschiedene Zuschreibungen erhalten, dienen sie doch immer zur Unterscheidung. Sie sind ein Fixum, daß die Menschen, egal wo, egal wann, voneinander unterscheidet. (Eriksen 2001: 124f)
Mir geht es nicht um die ungleichen Machtverhältnisse, die aus diesen Unterscheidungen erwachsen, es geht mir viel mehr um die theoretische Annahme, daß jene Verschiedenheiten dazu führen, daß die wahrgenommene Realität auf unterschiedliche Weise erlebt werden muss. Genau an diesem Punkt wird für mich, die Jung’sche Typologie interessant.
Jung nimmt ein weiteres Unterscheidungsmerkmal an, das unabhängig von äußerem Einfluss besteht, und daher für die Realitätswahrnehmung entscheidend sein müsste: Die Introversion, sowie ihr Gegensatz, die Extraversion.

Jung und seine Typologie

Jung beschreibt in seiner Typologie zwei allgemeine Einstellungstypen; die für ihn von Geburt an vorhanden sind und ohne soziale Einflüsse bei jedem Menschen auftreten: Nach Jung ist ein Mensch entweder introvertiert oder extravertiert veranlagt. Dazu in Verbindung stehen die Funktionstypen, jene beschreiben die vier psychologischen Wahrnehmungsmöglichkeiten. Diese werden in rationale Funktionen: Denken, Fühlen; und irrationale Funktionen: Empfinden und Intuition, eingeteilt.i

Jungt verweist immer wieder darauf, daß jene Typen nur einen Rahmen bilden sollen und auf keinen Fall den Anspruch auf Vollkommenheit erheben. Bei genauerer Betrachtung wird eine „objektive Charakteranalyse” zu einem nahezu unmöglichen Unterfangen. Denn laut Jung, steht meist ein allgemeiner Einstellungstypus (extrovertiert oder introvertiert) und eine Funktion (Denken, Fühlen, Empfinden, Intuition) im Vordergrund. Jedoch bedeutet dies nicht, daß die anderen Einstellungen und Funktionen in der jeweiligen Person fehlen, sie liegen viel mehr im Verborgenen und wirken unbewusst auf das Individuum ein.ii
In den weiteren Seiten werde ich mich allein auf die allgemeinen Einstellungstypen konzentrieren.

„Die Extraversion ist gekennzeichnet durch Hinwendung zum äußeren Objekt, Aufgeschlossenheit und Bereitwilligkeit gegenüber dem äußerem Vorgang, Verlangen, sowohl auf dieses einzuwirken, wie sich von diesem bewirken zu lassen, Lust und Bedürfnis dabei zu sein und mitzumachen,(…) Betrieb und Lärm jeglicher Art zu ertragen, ja als lustvoll zu empfinden. (Jung 2003 (1936( 19).
Die Introversion ist das genaue Gegenteil dieser Einstellung, daher ist es auch schwerer sie zu erkennen. „Der Introvertierte kommt nämlich nicht entgegen, sondern ist wie auf einem ständigen Rückzug vor dem Objekt begriffen. (…) (er( hat eine ausgesprochene Gemeinschaftsunlust (…) In größeren Versammlungen fühlt er sich einsam und verloren. Je mehr auf ihn eindringt, desto größer wird sein Widerstand dagegen” (Jung 2003 (1936(: 20).
Jung geht davon aus, daß diese Begriffe ein Anpassungsverhältnis zwischen Subjekt und Objekt ausdrücken und, daß dieses, aus einem biologischem Ursprung stammt: „Die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt ist, biologisch betrachtet, immer ein Anpassungsverhältnis (im Orig. hervorgehoben(, indem jede Beziehung zwischen Subjekt und Objekt modifizierende Wirkungen des einen auf das andere voraussetzt” (Jung 2003 (1921(: 28).
Ein einfaches und abgeflachtes Beispiel soll uns helfen dies zu illustrieren: Wenn man über das Kaufen von Kleidung spricht, gibt es zumeist zwei extreme Tendenzen: Entweder jemand kauft sich die Mode, die den „Anderen” gefällt; oder man ist der Meinung, daß nur die Kleidung gekauft werden sollte, die einem selber gefällt, die das „Eigene” ausdrückt oder sogar nur für einen selbst bequem ist. Dies kann soweit führen, daß jemand beschließt überhaupt keine neue Kleidung mehr kaufen zu wollen, um sich der „Masse” zu entziehen.
Erstere Auffassung beschreibt die Beurteilung aufgrund außen liegender Faktoren. Diese sind für das Individuum ausschlaggebend. Diese Einstellung wäre als extrovertiert zu kennzeichnen.
Jung schreibt in diesem Zusammenhang auch, wie diese Neigungen schon beim Kleinkind erkannt werden könnten. Das extrovertierte Kind geht lustvoll, und ohne Angst allen neuen Objekten entgegen. „Es treibt seine Unternehmungen gerne bis zum Extrem und setzt sich so einem Risiko aus. Alles Unbekannte erscheint als anziehend” (Jung 2003 (1923(: 111). Andererseits wird ein introvertiert veranlagtes Kind den Objekten eine gewisse Scheu entgegen bringen und sie mit Misstrauen behandeln, „Das Kind will seinen eigenen Weg haben und unter keinen Umständen einen fremden, den es nicht aus sich selbst begreifen kann. (…) Ich habe ein introvertiertes Kind gesehen, das erst dann seinen ersten Gehversuch machte, als ihm die Namen aller Gegenstände im Zimmer, mit denen es in Berührung kommen konnte, geläufig waren”(Jung 2003 (1923(: 111)iii Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die „Grabenkämpfe” zwischen Objektivismus und Subjektivismus hinweisen: Diese könnten durchaus etwas damit zu tun haben, wie man Selbst die Welt wahrnimmt. Ob das Innere für einen Selbst ausschlaggebend wirkt oder ob das Äußere zum einzigen Maßstab wird.iv

Wenn man wollte - und ich will - kann man auch die Ansichten von Claude Lévi-Strauss und Alfred Radcliffe-Brown miteinander vergleichen. Ersterer interessiert sich für das, was hinter denn kulturellen Ausprägungen steht und untersucht sozusagen die inneren „verborgenen Strukturen”; wohingegen Radcliff-Brown den äußeren Faktoren den Vorzug gibt, und an ihnen das Maß aller Dinge findet. Heinrich Heine bringt diese Tendenzen in folgendem Zitat zum Ausdruck:

„Plato und Aristoteles! Das sind nicht bloß die zwei Systeme, sondern auch die Typen zweier verschiedenen Menschennaturen, die sich, seit undenklicher Zeit, unter allen Kostümen, mehr oder minder feindselig entgegenstehen. Vorzüglich das ganze Mittelalter hindurch, bis auf den heutigen Tag, wurde solchermaßen gekämpft, und dieser Kampf ist der wesentlichste Inhalt der christlichen Kirchengeschichte. Von Plato und Aristoteles ist immer die Rede, wenn auch unter anderem Namen. Schwärmerische, mystische, platonische Naturen offenbaren aus den Abgründen ihres Gemütes die christlichen Ideen und die entsprechenden Symbole. Praktische, ordnende, aristotelische Naturen bauen aus diesen Ideen und Symbolen ein festes System, eine Dogmatik und einen Kultus. Die Kirche umschließt endlich beide Naturen, wovon die einen sich meistens im Klerus und die anderen im Mönchstum verschanzen, aber sich unablässig befehden. In der protestantischen Kirche zeigt sich derselbe Kampf, und das ist der Zwiespalt zwischen Pietisten und Orthodoxen, die den katholischen Mystikern und Dogmatikern in einer gewissen Weise entsprechen. Die protestantischen Pietisten sind Mystiker ohne Phantasie, und die protestantischen Orthodoxen sind Dogmatiker ohne Geist. ” (zit. nach Url, Heine 1835: 22)

Wenn man davon ausgeht, daß diese zwei Tendenzen a priori vorhanden sind, steht diese Annahme in krassem Widerspruch zu vielen sozialwissenschaftlichen Theorien. Als Beispiel kann man die „role theory” anführen, die davon ausgeht, daß das Individuum in einer ständigen Abhängigkeit gegenüber der Gruppe ist. Ihr zufolge passt sich die Person an die jeweils verlangten sozialen Bedingungen an, und ist demnach in sich zerspalten ohne fixe psychische Dispositionen. Aber es gibt auch die anthropologische Gegenposition: Die Annahme der geschlossenen Person. Diese geht davon aus, daß ein „Selbst” in der „Persona” vorhanden ist:„(…) the self is an integrated whole and (it is( artificial to >>chop it up<< into sparated roles” (Eriksen 2001: 54)
Die Frage, ob diese diametralen Meinungen nicht auch etwas mit Introversion und Extraversion zu tun haben, bleibt offen.

Schlussfolgerung

Die Wörter introvertiert und extrovertiert sind mittlerweile selbstverständlich in unsere Alltagssprache übergegangen. Auch wenn man sie nicht selbst verwendet, weiß doch ein beträchtlicher Anteil der Menschen, was mit ihnen gemeint ist. Wenn man beachtet, daß diese beiden Begrifflichkeiten von C.G. Jung eingeführt worden sind, ist es doch erstaunlich, welch eine Selbstverständlichkeit sie erlangt haben. Ich schließe daraus, daß die bereitwillige Annahme dieser Begriffe das Ergebnis einer Notwendigkeit waren und sind. Sie beschreiben etwas, das tatsächlich in der betreffenden Kultur erlebt wird, sonst würden die Termini nicht angenommen werden. Dies steht unter der Voraussetzung, daß die Begriffe sich nicht verselbstständigt haben, sondern ihren Inhalt beibehielten, welcher ihnen ursprünglich zugedacht war.

Um diesem Themenkomplex näher zu kommen sollte man sich zuerst die theoretischen Grundlagen aneignen, da die Theorien von Jung mittlerweile fast 80 Jahre zurückliegen und ich über die neueren Erkenntnisse nicht im Bilde bin. Generell müsste man sozialwissenschaftliche Zugänge zur Person, zum Individuum und zum Selbst auf diese Ideen untersuchen um sich dem Problem annähern zu können. Ich könnte mir vorstellen, daß in archaischen Gesellschaften der Wechsel zwischen Innen und Außen noch viel bewusster durch Rituale erlebt wird. Zum Beispiel die Visionen der Shuar (Amazonasgebiet), welche die eigene Person und die, mit ihr verbundenen Aufgaben in der Gemeinde, durch innere Visionen erhalten.

Es müsste, durch vergleichende Forschung, untersucht werden, in welcher Weise das Phänomen universelle Bedeutung haben könnte. Dies scheint mir, mit dem derzeitigen methodologischen Rüstzeug der Anthropologie, ein durchaus gewagtes Unterfangen.

Ich verweise auf das Kommentar von Carrithers, der, zu der Schwierigkeit des Themas, unterschiedliche Wahrnehmung zwischen innerem Gefühl und äußerem Verhalten, folgendes geschrieben hat:v „Yet if anthropology remains committed to firsthand knowledge and to the sovereignty of fieldwork, then we will have no choice but to take our comparativism in that more challenging direction” (422). Und so verbleibe ich mit guter Hoffnung.

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i Jung weist, meines Wissens nach, nicht dezidiert darauf hin, daß jene Funktionen „psychologische” Wahrnehmungsmuster sind. Aus der Sicht, der anthropologischen Methodologie, ist es wohl praktikabel von „psychologischen” Wahrnehmungen zu sprechen.
ii Um diese Annahme besser nachvollziehen zu können, hilft es, die Annahme über die Wechselwirkung von Psyche und Unbewusstsein, zu kennen: Nach Jung hat die Psyche kompensatorische Wirkung. Diese kompensatorische Funktion wirkt ausgleichend „(…)als Selbstregulierung des psychischen Apparats” (Jung 1990 (1921(: 156). Und fungiert sozusagen als Kompass im Menschen, der das Gleichgewicht im Individuum bewahren soll.
iii Dieses Beispiel könnte jedoch auch von einem Kind stammen, das unter dem Asperger-Syndrom leidet. Die Annahme, daß das Asperger-Syndrom eigentlich eine starke Introvertiertheit betitelt ist, ist aber auch überlegenswert.
iv Auch wenn mit Einzug der Postmoderne eine Versöhnung stattgefunden hat, denke ich doch, daß der inzelne Wissenschaftler, für sich selbst, seine Präferenzen hat, auf welche Faktoren seine Aufmerksamkeit gerichtet wird.
v Das Kommentar von Carrithers bezieht sich auf die Arbeit von Wikan: Managing, Turbulent Hearts (1990).
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Ich freu mich über Bemerkungen, Anmerkungen und natürlich über zustimmung :).

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