Sonntag, 10. August 2008

Vergleich von ehar, Ruth. Translated Woman. Crossing the Border with Esperanza’s Story pp. 1–20. VS Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography. pp. 1–27.

Geschriebenes kann und sollte nicht von dem Charakter getrennt werden, der hinter der Hand steht, die Buchstaben, Wörter und Sätze zu einem Ganzen zusammenfügt.
Dies ist auch bei der Autorin, Ruth Behar (1993) und dem Autor James Clifford (1986), nicht anders. Beide sind Kinder ihrer „Zeit“, und beide sind im Grunde US Bürger. Mit Zeit meine ich, dass sie beide, sehr wohl auf unterschiedliche Art und Weise, aber doch, der Postmoderne folgen. Man merkt wie beide Autoren nach neuen Wegen suchen, ihren Überzeugungen den richtigen Rahmen zu geben und diese neue Bewegung, die auf den unglücklichen Namen „Postmoderne“ getauft wurde, ist sozusagen der Schutzpanzer, der es ihnen ermöglicht, einen neuen Weg zu gehen.
Eine weitere Gemeinsamkeit, die auch mit der gerade erwähnten zusammenhängt, ist, dass beide Autoren sich von der Vergangenheit ihres Faches lösen wollen, ja, sogar befreien wollen, sie wollen - um einen deutsch geprägten Begriff zu verwenden – ihre Vergangenheit „aufarbeiten“.
Die Wirtschaftskrise der 70 Jahre war überwunden, die „Kulturrevolution“ der Hippies klang ab, und der Krieg war beendet - Amerika war dabei seine wirtschaftliche und militärische Vormachtstellung auszubauen. Das ganze unter dem Namen der Freiheit und der Demokratie, die eben auch Geld für die kritischen Stimmen (egal ob Universitäten oder andere Einrichtungen), bereitstellen musste, das gehört, oder gehörte zumindest zum guten Ton einer demokratischen Weltmacht. Es wäre jedoch kurzsichtig, die Texte nur im Bezug auf ihre Entstehungszeit zu betrachten, denn genau wie die Zeit nur die Anzahl von unendlich vielen Möglichkeiten ist, sind die Möglichkeiten der jeweiligen Zeit schier unerschöpflich, und was wäre der Mensch, wenn er nicht immer wieder das Selbe anders tun, erleben und erfahren würde.

Ruth Behar wurde als Tochter jüdischer Migranten in Havanna 1956 geboren, ihre familiären Wurzeln liegen in mütterlicherseits in Polen und ihr Vater stammt aus der Türkei. Im Alter von vier Jahren wanderte Behar mit ihrer Familie, aufgrund der kommunistischen Revolution, nach New York aus. Ruth Behars Interesse an ihrem Geburtsland und besonders an der dort verbliebenen jüdischen Gemeinde, ist bis heute stark geblieben. Ein Buch und ein Film entstammen der Sehnsucht und Bewunderung für dieses Fleckchen Erde und seiner Kultur. Mir scheint auch, dass durch ihr soziales Umfeld und besonders durch ihre Lebensgeschichte ein Bedürfnis nach „Praxis“ in ihr gewachsen ist; sie scheint jemand zu sein, der Etwas tun, Etwas bewegen will. Ich kann zwar kein wirkliches Urteil fällen, aber ich habe das Gefühl (welches sich auf Interviews und auf kleine Informationspartikel stützt), dass sie als Frau in einer jüdischen Familie eine zwiespältige Position gehabt hat. Einerseits respektiert, doch auf der anderen Seite kritisiert führ ihre Wünsche und ihr Streben in eine Wissenschaft vorzudringen, die sozusagen in Männerhänden war (Gelya 1995). Diese Situation trug auch dazu bei, das Buch „Translated Women“ (1993) zu schreiben (Gelya 1995). Es handelt von einer mexikanischen Staatsbürgerin, einer Frau, die Behar im Laufe ihrer Mexikoforschung kennen lernte und zu welcher sie immer engeren Kontakt aufbaute, bis zu dem Moment, als Behar beschloss, die Lebensgeschichte dieser Frau (welche aus ärmlichen Verhältnissen stammt und im Buch das Synonym „Esperanza“ erhält) schriftlich festzuhalten.
Laut Behar, hat Esperanza selbst den Wunsch nach einem Buch, das ihre Geschichte erzählen soll, geäußert, und so schreibt Behar „If nothing else, I’ve given her a book almost as big as the life she has lived“ (1993: XII). Das Buch ist also eine Monografie, die eigentlich keine ist, da sie die erzählte Geschichte von jemandem erzählt, der nicht der Autor ist (oder doch?). Behar spricht dieses Problem in ihrer Einleitung intensiv an, angefangen von den methodologischen Problemen, den moralischen und den ganz persönlichen Gewissensbisse, die dieses Buch ihr abverlangt haben. Es geht um Wechselwirkungen von Selbst- und Fremdverstehen, und von der Schwierigkeit, Prosa von wissenschaftlichem Text zu trennen. Behar arbeitet mit Emotionen und mit ihrem aus Leben gewachsenen feministischen Anspruch. Sie argumentiert ihr Vorgehen damit, dass sie den Menschen eine Stimme geben will, sie als persönliche, denkende, handelnde und interpretierende Wesen zeigen will. Sie will mit der Tradition brechen, Menschen, besonders Frauen, nur unter ihren ökonomischen Zwängen darzustellen, die vereinheitlichen, abstempeln und das Vergessen von Leid und Schuld um so vieles einfacher machen.
In ihrem Text beschreibt sie daher auch viele selbst erlebte Szenen: Zum Beispiel berichtet sie darüber, dass sie Esperanza einen Fernseher gekauft hat oder, dass ihr kleiner Sohn oft bei den Erzählungen von Esperanza lauschend mit dabei war (Behar 1993: 11). Aufgrund dieses Stils musste sie sich auch viel Kritik gefallen lassen, die ihr „Unwissenschaftlichkeit“ und „Subjektivität“ vorwarf, welche aber durchaus ihren Ausgleich in den Bewunderungen gefunden hat, die ihr durch dieses Buch von Kollegen und Öffentlichkeit zugetragen wurde (Gelya 1995).

James Cliffords Buch, oder besser gesagt, der von ihm herausgegebene Sammelband „Writing Culture“, dessen Untertitel „The Poetics and Politics of Ethnography“ lautet (ganz im Gegensatz zu Behars, eher emotionalem Buchuntertitel „Crossing the Border with Esperanza’s Story“), ist nicht offensichtlich durch eine persönliche Geschichte entstanden. Viel mehr macht er in seiner Einführung, die sich „Introduction: Partial Truths“ nennt, klar, dass es ihm um ein neues theoretisches Verständnis der Kulturbeschreibung geht, auch wenn das sehr wohl eine „persönliche Angelegenheit“ ist, die aus eigenen Erfahrungen und Einstellungen resultiert, hat sie den Anschein einer eher unpersönlichen philosophischen Erörterung.
Clifford studierte nicht nur Anthropologie. 1977 erhielt er den PhD für Geschichte an der Harvard Universität. Somit war sein Blick für Dinge wahrscheinlich ein ganz anderer als Behars. Nachdem er kein Marxist war (zumindest habe ich nichts feststellen können, was darauf hindeuten würde), blieb ihm die Geschichte als Schatztruhe, in der er wühlen konnte, um das richtige zu finden. So beschäftigt sich „Writing Culture“ mit der Frage, in welcher Weise man mit älteren und neuen Texten, welche Kulturen beschreiben, umgehen kann. Er fragt sich (in der Einleitung seines Sammelbandes), was es überhaupt bedeutet eine Kultur (so schwammig dieser Begriff auch sein mag) anhand eines Textes festzuhalten. Er zweifelt an der Objektivität der Texte und der Autoren und Autorinnen, die sie geschrieben haben. Er stellt - und das ist für mich besonders wichtig – die Frage, wie kann eine sich ständig verändernde Kultur als etwas Fixes beschrieben werden, ohne dabei nicht automatisch einen Trugschluss zu erzeugen. Wie kann die menschliche Realität, die noch keiner erfasst hat, einer allgemeinen Methode untergeordnet werden.
Auch die Frage der Macht, die bei vielen Ethnografien eine wichtige aber verschwiegene Rolle spielt, behandelt er in seinem Text. Die Situation der Frau in ethnographischen Berichten wird kritisiert, denn sie sind meistens (hier treffen sich Behar und Clifford) nicht als denkende, interpretierende und vor allem nicht als handelnde Menschen beschrieben, sondern werden in eine passive, bloß von Reaktionen bestimmte Rolle gesteckt. In diesem Zusammenhang schreibt er über das Buch Davinity and Exprience: The Religion of the Dinka (Lienhard 1961): „Only once is a woman’s view mentioned, and it is in affirmation of men’s relation to cows, saying nothing of how women experience cattle“ (Zit. nach: Clifford 1986: 17). Er reflektiert auch über denn damals verwendeten Gebrauch von Sprache; die generell das Weibliche negierte und wie dumm es eigentlich war (und teilweise noch ist), mit zu allgemeinen Begriffen zu arbeiten, die oft nicht erkennen ob von Mann oder Frau die Rede ist.
Der Text reflektiert über viele Aspekte der geschriebenen Kultur und Geschichte, über die Subjektivität und über die daraus resultierenden Umgangsformen mit diesen Texten. Sein Text ist sozusagen wesentlich „wissenschaftlicher“ (im kommerziellen Sinne), als Behars. Es handelt sich nicht um eine Monografie, sondern um einen Sammelband. Sammelbände haben es leichter Objektivität einzufordern, da sie innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinde in einem angeblich – nennen wir es – demokratischem Meinungsaustausch entstanden sind. So können Autorinnen und Autoren durch gegenseitiges Zitieren ein Netz knüpfen, in dem sich nur all zu leicht unkritische Fische verfangen. Ich denke aber nicht, dass Clifford dies notwendig hatte. Ich denke, dass er mit seiner kritischen Stimme, die quasi (wollte man es aus einer bestimmten Perspektive betrachten, ich betrachte ihn nicht aus dieser), die Arbeit früherer Anthropologen zunichte machte und damit den Ärger mancher Kollegen auf sich zog.

Behar und Clifford treffen sich also in der Zeit, wo Kritik möglich geworden war, wo das globale „Verständnis“ des Wissens (da es immer mehr davon gab und dieses auch immer schneller zur Verfügung steht), und vor allem des Bewusstseins eine neue Dimension ereichte. Ein Generationenwechsel war gekommen und somit konnten auch neue Wahrheiten geschaffen werden. Dieser Wechsel führte in diesem Fall zu klugen Überlegungen, die von Werten getragen wurden, die die menschliche Würde und den Gedanken an Freiheit und Selbstbestimmung in sich trugen. Behar ging diesen Kampf (es ist immer ein Kampf etwas Neues zu gebären) praktischer an als Clifford, der sozusagen mit dem Theoretischen den Sprengstoff mischte, der ein neues Denken einleiten sollte, die Postmoderne. Die Beiden ergänzen einander, im Rahmen der Möglichkeiten, die ihnen die Zeit gegeben hat und hoffentlich noch geben wird.

Literatur:

Behar, Ruth (1993) . Introduction. The Talking Serpent. In: Behar, Ruth. Translated Woman. Crossing the Border with Esperanza’s Story. Boston: Beacon Press, pp. 1–20.

Clifford, James (1986). Introduction: Partial Truth. In: Clifford, James/Marcus, George E. (eds). Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography. Berkeley et al., pp. 1–27.

Gelya, Frank (1995). Ruth Behar’s Biography in the Shadow: A Review of Reviews, In: American Anthropologit. New Series, Vol. 97, No. 2, pp. 357–359.

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